Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

An Hitze und Armut gescheitert

   J. Schäfer          

Donnerstag, 25. Februar, abends

In der Auberge Sahara treffe ich eine Reisegruppe an, die ich schon auf dem Campingplatz in Tarifa gesehen hatte. Ihr Gefährt ist ein alter Pritschen-LKW, auf die Pritsche ist ein Holzaufbau gesetzt mit Fenstern und zwei - offenbar aus verschiedenen gebrauchten Holzstücken zusammengesetzten - Längsbänken, oben in Netzen wird das Gepäck verstaut - fertig ist die Ausstattung. Zum Kochen gibt es eine große Plastikschüssel, in der die Blechteller verstaut sind, und eine andere mit großen Töpfen, zum Übernachten zwei-Mann-Iglus. Der Reiseleiter ist ein wortkarger und - als ob er dem Vorurteil gerecht werden will - kauziger Engländer meines Alters, die Reisegruppe noch 13 - eine ist schon abgesprungen - junge Leute unterschiedlichster Nationalität - auch ein Deutscher. Es gibt im Web ein Foto von ihnen aus Tarifa und eine Website des Projekts, auf der ist aber der frühere, offenbar wesentlich bessere Truck zu sehen.


Die Truppe ist nicht sehr kommunikativ, alle hängen die ganze Zeit an Tablett, Laptop oder Handy, sofern sie nicht schlafen. Der Deutsche erzählt, sie warteten hier jetzt ein paar Tage, weil sie umplanen müssten, die Route durch Mali sei zu gefährlich, sagte die Botschaft. Meine Ghana-Pläne rücken in die Ferne.
Zwei Stunden später erzählt er, sie müssten doch durch Mali, für Senegal erhielten Deutsche und Schweizer (er hat beide Pässe) sowie Franzosen kein Visum mehr. Das kann nicht sein! Ich solle den Chef fragen. Der bestätigt - plötzlich erstaunlich wortreich - genau dies; das bleibt dann die ganzen nächsten Stunden Gesprächsthema in seiner Gruppe - the Germans, always the Germans …. Also frage ich den netten jungen Mann aus der Herberge, der sich schon bei meiner Ankunft als Fremdenführer vorgestellt hat. Er bestätigt: Deutsche brauchen kein Visum für Senegal, das Problem der Truppe sei nicht der Deutsche, sondern der 38 Jahre alte Truck - Autos älter als acht Jahren dürfen im Senegal nicht oder nur gegen horrende Gebühren über die Grenze, das weiß ich. Der Engländer hat seine Truppe offenbar angeschwindelt, will nicht, dass sein Truck als Ursache ihrer Probleme gesehen wird.
Ich bin unterdessen am Grübeln. Gestern, in Nouâdhibou überkamen mich erste Bedenken: diese Slums, diese Not, dieses Elend - es überfordert mich. Will ich wirklich weiter? Was, wenn die Grenze mir doch verschlossen ist?
Ich zwinge mich, meinen Blog von den letzten beiden Tagen zu schreiben; dazu muss ich im Büro - dort gibt es eine der drei Steckdosen des Hauses - sitzen, meine Laptop- Batterie geht zur Neige. Es ist drückend heiß, der Schweiß läuft mir in die Augen. Alle paar Minuten mache ich Pause, gehe im etwas kühleren Freien spazieren. Tippen ist anstrengend, Denken nur mit Disziplin - und eingeschränkt - möglich.

Abends labt mich die - warme! - Dusche im sauberen Sanitärraum. Und dann gehe ich Essen im Restaurant gegenüber - das sieht gut aus. Und wie gut es ist! Absolut europäischer Standard in jeder Hinsicht, gemischter Salat top, Entrecôte mit Pilzsauce zart und lecker, einige Fanta mit viiiiiiel Eis (kann man hier wohl wagen) erfrischen endlich. Livrierte Kellner, frisches Besteck zum Hauptgang, viereckige Teller (die überflüssigste Erfindung seit der Atombombe, aber muss man ja haben), moderne afrikanische Musik. Alles perfekt, das Leben ist schön.
Ich war früh dort, im Le Parisienne - deshalb der Eiffelturm auf dem Gebäude, das in Wirklichkeit in wechselnden Farben blinkt -; nach Einbruch der Dunkelheit kommen viele Autos - ein beliebtes Restaurant, europäische Preise, die können sich einige hier leisten, und dann kann man hier auch leben.

Inzwischen hat mein potentieller Guide telefoniert mit dem Polizeipräsidenten und er könne definitiv sagen: kein Visum für Senegal nötig, Ausreise aus Mauretanien kostet insgesamt 30 €, die Passage über den Staudamm in Diamma 10 €, die Autoversicherung für Senegal 250 €, that's all. Und nach allem, was ich weiß, hat er Recht. Er werde mich führen, ich solle aber schnell entscheiden, die Grenze schließe morgen (am Freitag) um Mittag und bleibe dann bis Montag zu. Letzteres ist definitiv falsch, aber er will natürlich Druck machen. Immer wieder im Laufe des Abends sucht er den Kontakt. Er habe es schwer, die Visumgebühren für Mauretanien seien so hoch, dass kaum Touristen kommen, aber Guide sei sein Beruf, er lebe davon. Ich vertröste ihn: ich werde darüber schlafen, morgen früh entscheiden.

Ich bin müde, aber zum Schlafen ist es definitiv zu heiß. Die Reisegruppe hat inzwischen gekocht, isst zusammen am großen Tisch und lädt, nachdem alle satt sind und sich wieder an ihre Bildschirme zurückgezogen haben, die Jungs des Hauses zum Reste-Essen ein. So kann man es natürlich machen, der Neger ist auch dafür dankbar …
Inzwischen kamen die Stechmücken - mit ihnen hatte ich erst Morgen, am Sengel-Fluss, gerechnet. Nouakchott ist eine Stadt noch in der Wüste, erst zur Unabhängigkeit 1959 gegründet, damals für 30.000 Einwohner geplant, heute sind es über eine Million; der Platz wurde gewählt als symbolischer Ort an der Nahtstelle der beiden Bevölkerungsgruppen des Landes, der Berber des großen Nordens und der Schwarzafrikaner des dichtbesiedelten Südens. Schon immer war meine Haut für stechende Insekten offenbar besonders anziehend, aber jetzt ist es wirklich schlimm! Mit der Malaria-Prophylaxe hatte ich glücklicherweise schon am Ruhetag in Boujdour begonnen, um ihre Verträglichkeit zu testen, manche berichten von Übelkeit, Durchfall oder sogar Halluzinationen - nicht gut beim Autofahren; ich habe keine Nebenwirkungen. Afrikanische Ärzte sagen übrigens, die Malaria-Prophylaxe sei europäische Neurose und unnötig, da die Krankheit bei Behandlung beherrschbar ist, wie auch lang hier residierende Europäer beweisen, die keine Prophylaxe machen können, weil Dauereinnahme die Nieren schädigt. Durch die Prophylaxe der Touristen entwickeln die Moskitos aber Resistenz, dann werden die Medikamente auch im Akutfall unbrauchbar, wie das mit dem früher gebräuchlichen Resochin schon seit einiger Zeit der Fall ist.
Um 24 Uhr lege ich mich in meine Kiste. Autan löst das Problem nicht wirklich. Ich packe mein Moskitonetz aus - es in der Nacht zu entwirren und zu befestigen ist kaum möglich, aber auch eine windschiefe Installation hilft. Jetzt könnte ich endlich schlafen, wenn nicht das lautstarke Palaver der Jungs von der Herberge anhielte, das Gezirpe der rund um die Uhr arbeitenden Wasserpumpe vom Hof her nervte, der Verkehr auf der Straße nicht so laut wäre und die Hitze nicht so drückte - es hat um Mitternacht 29°. Schließlich wird das Palaver leiser und ich schlafe doch ein: bis wenig später das Hoftor geöffnet wird, ein auspuffloses Auto hereinlässt - Schwarzafrikaner mit spanischer Autonummer -, und das Palaver nun wieder aufgenommen wird.
Ich wälze mich im Bett: soll ich mir das wirklich weiter antun?

Freitag, 26. Februar

Am nächsten Morgen ist es kühler, ich fühle mich wohl. Ich werde in die Innenstadt fahren, wenn ich auf einer Bank Euros bekommen, fahre ich in den Senegal - das kostet 500 €, 300 für die Einreise in den Senegal, 200 für die Wiedereinreise nach Mauretanien. Andernfalls werde ich meine Autoversicherung verlängern - die läuft heute ab - und noch eine Zeit im Land bleiben, mein Visum gilt einen Monat. Das spanische Auto bricht früh auf, so kann auch ich losfahren - meinen Guide, von dem noch nichts zu sehen ist, werde ich dann abholen.
Auf der Fahrt in die Innenstadt: das ganze Elend handgreiflich. Ich mache doch wenigstens ein Bild - aber was sind schon Bilder? Man kennt sie ja. Auch die Berichte und die Statistiken und die Schilderungen und die Nachrichten. Nur: das sind Menschen, Gottes Geschöpfe, Menschen wie Du und Ich, mit Gehirn und Verstand und v. a. mit Emotionen. Das sind keine Bilder, das ist Wirklichkeit. Ich ertrage das nicht. Ich blinke links - da ist Norden.

Nein: ich kann es nicht, ich will es nicht live sehen. Und warum dazu Hitze und Mücken ertragen? Meine Vorstellung war, im Senegal vier Wochen in der Sonne zu genießen und zu arbeiten, aber das ist nicht möglich. Die Hitze lässt die Gedanken verdampfen, die Finger schwitzen beim Schreiben, sinnvolles Arbeiten wird es nicht geben. Ich verstehe, warum die Jungs von der Herberge den Nachmittag und Abend liegend im Halbschlaf verbracht haben.

Doch, die Menschen hier sind fleißig: die Straßenhändler - alle hundert Meter einer, jeder mit Zigaretten und Süßigkeiten - saßen heute morgen um 8 Uhr schon an ihrem Platz an der staubigen Straße, ohne Sonnenschutz, inmitten der Abgase der uralt-Autos; gestern Abend um 24 Uhr saßen sie auch noch - das sind 16 Stunden Arbeitszeit am Tag - sicher 7 Tage die Woche. Ist das Arbeit? Es hält ja keiner und kauft, sie tun ja nichts als sitzen. Aber sie haben keine Alternative.
Das BIP pro Kopf beträgt in der Türkei 1/4 des deutschen, in Marokko knapp 1/3 des türkischen, also 1/12 (genauer: 1/14) des deutschen; das in Mauretanien beträgt 1/3 des marokkanischen, genau 1/40 des deutschen, das im Senegal liegt noch ein paar Cent darunter. Das sind weniger als 1 US-$ am Tag, wohlgemerkt im Durchschnitt, da sind die Reichen im Le Parisienne eingerechnet. Gewiss: Marokko ist nicht reich, viele müssen ihren Lebensunterhalt hart erkämpfen. Aber das ist aufs Ganze gesehen noch eines Menschen würdig. Das hier dagegen ist einfach unsäglich, unfassbar, unmenschlich. Ich kann es nicht, ich will es nicht. Das hilft den Menschen hier keinen Deut, im Gegenteil, aber es ist für mich Selbstschutz.
Ich könnte weiterreisen, in den empfohlenen Herbergen warm duschen, in den Le Parisiennes gut essen, womöglich ein klimatisiertes und moskitofreies Hotel beziehen, ich habe ja das Geld dazu - in hier ungeahntem Überfluss. Aber wozu? 500 €, um weiter Elend zu betrachten?
Traveller preisen die Natur; die aber kann ich im Zoo einfacher haben. Und die Menschen; mein Eindruck: sie halten sich davon möglichst fern, hinter dem Stahltor der Auberge mit der warmen Dusche oder im Le Parisienne - ich kann es sehr gut verstehen. Nur das ist nicht meine Art zu reisen.

Ich fahre nach Norden, an den wenigen Dörfern im Nichts mit ihren mini-Moscheen vorbei …

… durch die Wüste, die hier unten gelb statt weiß ist, aber noch ein paar Pflanzen hat …

… durch die endlose, trostlose Weite …

… in der dennoch Menschen und Tiere überleben. Auffallend: in fast regelmäßigen Abständen begegnen mir die neuen weißen Kleinbusse, zumindest einige mit der Aufschrift Khalifa-Transports.

Dann halte ich kurz, um aus dem Auto dieses Restaurant zu fotografieren. Überall, wo ein paar Menschen ihre Hütten und Zelte an der Straße aufgebaut haben und leben, gibt es solche Restaurants: ein paar Getränkedosen - natürlich ungekühlt, Strom gibt es nicht - und ein Gaskocher, auf dem dem Rastenden etwas zubereitet werden kann.
In Windeseile steht ein Traube Kinder vor meinem Fenster, cadeaux!, cadeaux!, cadeaux!, cadeaux!, einige dürre Frauen kommen hinzu, food!, food! tönt es aus ihren ausgemerkelten Gesichtern. Ich gebe Stifte - sofort beginnt die Schlacht der Kinder um die Aufteilung - und den Frauen mein restliches Brot. Und gebe Gas. Unbarmherzig. So wie die Wüste. Und der Alltag hier. Und mein Gemütszustand.

Ein Tramper winkt, ich halte, aber er bekommt die Tür nicht auf, scheint noch nicht oft in ein Auto gestiegen zu sein. Es stellt sich heraus: ein echter Mann der Wüste, wohl mittleren Alters, aber mit dem windgegerbte, ledernen und so tief würdevollen Gesicht, das die Berber auszeichnet, dazu ganz traditionelle Kleidung, ein dickes, raffiniert geschnürtes Bündel als Gepäck und einen von Rinde befreiten Hirtenstock. Kein Wort Englisch oder Französisch. Keines. Als wir ein Stück vor der Grenze wieder an der großen Moschee vorbeikommen, sage ich Mosque, das müsste er verstehen. Er antwortet Mosque?. Ich sage grande, das versteht er nicht. Ich versuche es mit den Händen zu zeigen - nicht einfach, wenn man stänig gegen die Straßenkrümmung und den Wind anlenken muss - er antwortet Nouâdhibou - das weiß ich schon, da will er hin.
Ein Stück weiter kommt wieder die Baustelle, an der der Straßenbelag erneuert wird. Die Asphaltiermaschine steht - wie schon bei der Hinfahrt - abseits im Sand, der Makadam wird von Hand mit der Schaufel verstreut. Ich muss halten, die Bauarbeiter bitten um Wasser und Zigaretten - damit kann ich dienen.

Die Straße ist wirklich gut - 2006 von deutschem Unternehmen mit EU-Entwicklungshilfe-Geldern gebaut, dennoch muss man ständig aufpassen. Mein Schlaglochwarner fehlt mir, der sehr kräftige Wind - der aus der Sahara kommende Harmattan - ist böig; wozu Fahrfehler führen, kann man häufig sehen. Die Toten, las ich, werden oft an Ort und Stelle bestattet.
Man sieht doch: Entwicklungshilfe hilft, wir können ein gutes Gewissen haben. Manchmal, wie z. B. bei dieser Straße, ist das gewiss so. Oder aber es ist wie beim Fischereiabkommen der EU mit Mauretanien (und ähnlich für das Gebiet Westsahara mit Marokko): Die EU gibt jährlich 8 Mio €, davon 800.000 zweckgebunden zur Förderung Einheimischer, die so Fischer werden können. Der Rest fließt in den Staatshaushalt und ein großer Teil dieses Geldes kommt dann gleich wieder zurück - v. a. an französische Banken - für den Schuldendienst, trotz eines 2002 erfolgten teilweisen Schuldenerlasses. Im Gegenzug erhalten die großen Trawler der EU Fischereirechte vor der Küste - dem fischreichsten Gefilde weltweit, die kalte Meeresströmung + warmes Oberflächenwasser + Saharasand (Mineralien!) sorgen dafür. Fachleute schätzen, dass die dreifache Anzahl der vereinbarten EU-Trawler nun hier fischt, Mauretanien hat keine Möglichkeit zur Kontrolle, dazu kommen Trawler aus Drittnationen, die sozusagen unter EU-Deckmantel illegal fischen. Die Fänge der Einheimischen gingen rapide zurück, sie wichen auf den Flüchtlingstransport zu den nahen kanarischen Inseln - Europa! - aus, bis die EU umfassende Schutzmaßnahmen ergriff. So wird also nicht zu Entwicklung geholfen, sondern der europäischen Wirtschaft, dann werden Flüchtlingsströme produziert, wenn auch diese abgewehrt sind (Zäune, Mauern, Kontingente, robuste Einsätze, Marinemissionen, das ganze Programm) haben die Einheimischen weniger als zuvor, die EU aber Mengen an Fischen.
In Marokko habe ich Thunfischsalat in der Dose gekauft: Thunfisch, Maiskörner, Paprikastückchen, Essig - alles Materialien die es im Land zuhauf gibt. Dann lese ich beim Essen die Verpackung genau: hergestellt in Spanien. Dank EU-Exportprämien für die Landwirtschaft wird dieser importierte Salat preisgünstiger, als würde er hier produziert. Man nennt es Marktwirtschaft, es ist Beute-Kapitalismus.
Vor kurzem brachte die WTO-Ministerkonferenz in der kenianischen Hauptstadt Nairobi weitere Handelsliberalisierungen und wurde in deutschen Zeitungen als Erfolg bewertet. Sven Hilbig von Brot für die Welt sagt dazu: Seit Beginn der WTO Verhandlungen vor gut 20 Jahren setzen sich EU und USA lediglich für eine einseitige Liberalisierung des Welthandels ein. Sie fordern nur in den Bereichen eine Liberalisierung, wo sie Wettbewerbsvorteile genießen, wie zum Beispiel in den Bereichen Investitionen und Dienstleistungen. Im Agrarbereiche, wo die Entwicklungs- und Schwellenländern regelmäßig im Vorteil sind, sind die führenden Industrienationen nicht bereit, Zugeständnisse zu machen – sprich: ihre Märkte für die landwirtschaftlichen Produkte aus Afrika, Lateinamerika oder Asien zu öffnen. Für die Länder des globalen Südens überwiegen nun die negativen Auswirkungen. Zwar haben EU und USA ihre Märkte inzwischen für Agrarprodukte der Entwicklungsländer geöffnet. Doch die EU importiert nach wie vor klassische Kolonialwaren, um sie dann hierzulande zu teuren Endprodukten weiter zu verarbeiten – und zu einem vielfach höheren Preis zu verkaufen. Mit dem Ergebnis, dass Afrika, wo weit über die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist, immer noch über 80% seiner Nahrungsmittel importiert.

Und dann gibt es aber auch sogar Milchwirtschaft, eine Landwirtschafskooperative im Nichts.
An der mauretanischen Grenze bietet sich ein Schlepper an. Combien? - was ich denke. Combien? - er sei mein Freund. Combien? - 3 €. Gut investiertes Geld, nach 20 Minuten ist alles erledigt, einschließlich Zollkontrolle: zwei Beamte - immer zwei, wegen der Korruption. Heckklappe auf! Ob er den Campingstuhl haben könne, fragt einer. Nein, den brauche ich selbst. Aber die Campingliege? Auch nein, auch die brauche ich selbst noch. (Stimmt nicht: ich habe sie seit Jahren nicht mehr benutzt. Aber so sind wir: häufen die Besitztümer an ohne Grund und Nutzen, geben aber trotzdem nichts ab.) Anderes Geschenk? Ich habe noch einen 1000 UM-Schein, den gebe ich dem einen, die restlichen 400 UM dem anderen, zusammen 3,5 € - sofort beginnt letzterer mit seinem Kollegen zu diskutieren, dass sie gerecht teilen. Für mich aber ist die Kontrolle damit schon beendet.
Die Durchfahrt durch Niemandsland auf der Felspiste ist einfach. An der marokkanischen Grenze gibt es keine Schleuser, aber die Beamten helfen sehr freundlich durch den Büro-Dschungel. Als Premiere erlebe ich die Röntgendurchleuchtung meiner Kiste - die EU hat geholfen, damit können versteckte Migranten aufgespürt werden, alle müssen hier durch. Schon bei der Einreise nach Mauretanien hatte ich eine Premiere: meine Fingerabdrücke, erst alle 10, am Ende nochmals beide Zeigefinger, elektronisch erfasst. Die könnte Mauretanien doch ans BKA oder den BND verkaufen, die sind immer scharf auf so etwas, wäre doch eine Geschäftsidee? (Vielleicht geschieht es schon, im Gegenzug gegen irgendeine Entwicklungshilfe. Gelesen habe ich: wer nach Mali eingereist war, bekommt nach der Rückkehr nach Deutschland Besuch vom Staatsschutz.)
Trotz Freitagnachmittag also keine Probleme an der Grenze: freundliche, zu Scherzen aufgelegte, hilfsbereite marokkanische Zöllner. Auch ihre mauretanischen Kollegen waren freundlich und korrekt - die oft gescholtene Korruption finde ich ok, es sind lächerliche Almosen. Dennoch ist der Unterschied deutlich: die Beamten hier sind entspannt, sie können von ihrem Verdienst leben. Eine Stunde später bin ich noch bei Tag wieder in Lamhiriz, vor dem Schlafen bekämpfe ich die offenbar mitgereisten Moskitos. Wenn sie erst einmal genug Blut bei mir abgezapft haben, werden sie fett und träge, dann sind sie leicht zu besiegen. Eine Metapher für meine heutige Entscheidung? Denn ich bin schon seit längerem gewiss: nach dem Ende des selbstzerstörerischen Kapitalismus des Nordens liegt die Zukunft der Menschheit auf der Südhalbkugel.

Samstag, 27. Februar, bis Sonntag, 28. Februar

Nun geht es wieder schier endlos durch die Wüste. Der Wind bläst stürmisch, im Sandstaub ist die Straße oft nur schwer zu erkennen. Kurz vor Dakhla passiere ich wieder den nördlichen Wendekreis des Krebses, an dem die Sonne bei der Sommersonnwende als nördlichster Linie senkrecht steht.

Soll ich die 85 km Umweg auf die Halbinsel nach Dakhla in Kauf nehmen? Ich brauche Dirhams vom Automaten, die es am Tagesziel Boujdour nicht mit Gewissheit gibt, und der Dieselvorrat könnte knapp werden - ich bin gebranntes Kind. Also fahre ich in die Stadt - und fotografiere, weil: es ist alles so sauber hier, so ordentlich, so menschenwürdig und entspannt.

Ich fotografiere, obwohl es nichts zu sehen gibt, wie ein Süchtiger, der auf Entzug war und nun seine Droge Zivilisation wieder bekommt.

Schließlich doch noch eine Sehenswürdigkeit: die katholische Kirche, Unserer Lieben Frau auf dem Berge Karmel geweiht. Und dann Tanken, dabei erfahre ich: 25 Liter sind für die Tankanzeige meiner Kiste ein gut halbvoller 80-l-Tank. Jetzt weiß ich, warum es vor sechs Tagen so knapp war - Danke FORD, gut gemacht. Es hätte diesmal nicht gereicht!

Die große Bucht von Dakhla gilt als beliebtes Überwinterungsziel von Wohnmobilisten, die die lange Anfahrt nicht scheuen.

V. a. Kitesurfer genießen die Bucht mit dem kräftigen Wind.

Auf der Weiterfahrt blüht für einige Kilometer die Wüste.
Und das Pech: plötzlich, mitten im Nichts, winkt mich ein Verkehrspolizist - die sind hier immer in schneeweißer Uniform gekleidet, fahren mit ebenso weißen Motorrädern - an den Straßenrand. Papiere! Kann er haben. Aussteigen und mitkommen. Etwas abseits stehen der Kollege und die Motorräder, jetzt ahne ich den Braten: es gab ein 80-km/h-Schild wegen einer leichten Kurve und einem weit entfernten Gebäude. Ich war vom Gas gegangen - sei aber 90 gefahren - das wird wohl stimmen. Macht 300 DH - 27,80 €. Das sei teuer! Aber Vorschrift! In Deutschland sei es billiger (eine Notlüge [?]). Er erklärt mir die Tabelle, ab 11 km/h zu viel hätte es 600 DH gekostet. Derweil kommt in der Weite ein Auto, der andere richtet die Laserpistole auf den marokkanischen Pick-up - auch er ist fällig. Ich muss nun zum Auto, das Geld holen, mein Polizist begleitet mich. Ob ich auch wirklich in Deutschland wohne und nicht in Marokko residiere? Ja sicher, ich bin Tourist. Also, mein Freund: 200 DH. Gerne, was Freundschaft doch bewegen kann! Natürlich will ich keine Quittung.
Ich werde mein Tagesziel Boujdour auch diesmal genau zum Sonnenuntergang erreichen. Dachte ich. 10 km vorher werde ich wieder an die Seite gewunken - aber hier war keine Begrenzung, außerdem habe ich seither alle (fast) eingehalten. Führerschein? Habe ich. Die grüne Einreisegenehmigung? Habe ich. Fahrzeugschein? Habe ich auch. Versicherung! Habe ich, glücklicherweise an der Grenze abgeschlossen; sie ist dort etwas teurer, aber in Dakhla traf ich eine von der Grenze Bekannte, der war es dort zu teuer, jetzt muss sie bis Montag in Dakhla warten, die Büros sind zu. Gilet!. Habe ich noch nie gehört! Ich zücke mein Wörterbuch, da steht: Schwimmweste. Aha! Warnweste habe ich. Warndreieck auch. Er entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten, es sei nur zu meiner Sicherheit. Aber gerne doch!
Der Campingplatzbesitzer ist dann überrascht, dass ich schon wieder zurück bin. Und ich bin damit sehr zufrieden - nur kalt ist es hier, um 20 Uhr nur 20° - gerade recht für eine lange, entspannte Nacht.

Am Sonntag schreibe ich alles hier nieder. War meine Entscheidung richtig? So weit für Nichts? Es ist gar nicht so weit, und bei 39 Cent für den Liter Diesel bei 8 l Verbrauch kein Vermögen. Und natürlich hat es sich gelohnt: ich habe an der Sahara nicht nur gerochen wie vor 25 Jahren, sondern sie in ihrer ganzen Breite erfahren - klar: erfahren auf der Teerstraße, früher fuhr man auf Pisten viele Tage lang, noch früher zu Fuß darbte man wochenlang. Sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt sah ich je einen Alleinreisenden per Fahrrad gegen Wind und Sand anstrampeln - das sind Entbehrungen! Und trotzdem: ich spürte die Weite, hatte den Sand in Augen, Mund und Nase, erlebte die Einöde und die lange, lange, lange Weile, aber auch die Vielfalt und die Abwechslungen, die Schönheit und dann wieder Lebensfeindlichkeit der Sahara. Und ich habe an der Dritten Welt geschnuppert. Nicht fern-gesehen, nicht an-gelesen, nicht darüber geredet, sondern erlebt, gefühlt, und - das ist jetzt völlig unpassend, aber für mich doch treffend - erlitten.
Und jetzt, rund 36 Stunden nach meinem Linksblinken sage ich: ich will irgendwann nochmals dorthin, weil: da ist etwas Faszinierendes. Man sagt: afrikanische Lebensfreude und der unbeirrte Lebensmut; ob das richtig ist, weiß ich nicht, eher nein. Dennoch ist da irgendetwas und ich komme wieder, so Gott will. Mental besser vorbereitet, denn das Problem sind nicht Grenzen oder die im Reiseführer beschriebenen Schwierigkeiten wie die Korruption der ums Leben Kämpfenden oder die richtige Malariaprophylaxe - das Problem ist emotional. Jedenfalls bei mir. Aber diesmal war es so richtig.

Montag, 29. Februar, bis Dienstag, 1. März

Heute ist wieder Kilometerfressen angesagt. Nach knapp zwei Stunden komme ich zum Industriegebiet südlich Laayoune; hier endet das mit 100 km längste Förderband der Welt, mit dem im Tagebau gefördertes Phosphat zum Hafen transportiert wird. Nach dessen Ende ist nichts mehr, aber ein 60 km/h-Schild. Und eine Laserpistole. Kostet 500 DH, 46,50 €. Nichts zu verhandeln, dafür ein dekorativer Strafzettel. Ich ärgere mich tierisch.
Wenig später geht es durch die Stadt selbst, die im Unterschied zur Durchfahrt am vorvergangenen Sonntag nun schönstes Verkehrchaos bietet. Am Stadtausgang die übliche Kontrolle. Fiche? Nein, er will meinen Pass und ich soll rechts parken. ???? Er geht in sein Häuschen - und es geschieht: nichts. Vor dem Häuschen steht ein Kollege, blickt ernst auf mich. Ich warte, wo soll ein Problem sein? Schließlich gehe ich über die Straße zum Häuschen, mein Polizist tritt, Handy am Ohr, heraus und fragt nach meinem Beruf. Pasteur - das stieß seither eigentlich immer auf freundliche Reaktion - hier nicht, er sagt es seinem Gesprächspartner am Telefon, fragt nocheinmal. Hier stimmt etwas nicht! Ich dränge ins Häuschen, dort telefoniert auch ein Dritter mit Finstermine, immerhin blickt der hinter dem Schreibtisch sitzende Chef freundlich. Was ich in as-Samara wolle? As-Samara ?? - ich will nach Guelmim! Plötzlich ist entspannte Stimmung, die Telefonate werden eingestellt: ich habe die Abzweigung verpasst und fahre Richtung Osten statt Norden. Schon vor zwei Tagen war mir unterwegs viel Militär aufgefallen, auch einige UN-Fahrzeuge (die UNO ist hier, um die vereinbarte Volksabstimmung zu überwachen, die Marokko seither in all den Jahren erfolgreich hintertrieben hat; Budget 2008: 47,64 Mio. US-$, Kontingentstärke: 237 Mann, d. h. pro Mann gut 201.000 US-$). As-Samara ist eine Stadt in der Wüste, unweit der Ostgrenze zu Mauretanien, religiöses Zentrum der Sahrauis, deren heiligen Stadt, unweit der Grenze des noch marokkanisch kontrollierten Gebietes, heutzutage wohl auch für Islamisten ein wichtiger Ort. Es scheint irgendetwas im Gange zu sein. Im weiteres Tagesverlauf fallen mir dann auch mehrere Busse auf, die Soldaten in den Süden transportieren.
Erstmals hat mich mein Navi genarrt!

Für keine 200 km habe ich jetzt weit über drei Stunden gebraucht - es wird eng, vor der Dunkelheit in Abaynou anzukommen. Für einen Fotostop in Tah, der Grenze zur Westsahara - ohne Tankstelle, wie ich noch zu genau weiß, aber mit monumentalem Denkmal - reicht es.

Das Plakat erinnert: es ist eine durchaus kämpferische Region, wobei ich nicht weiß, was 1958 war. Der Mann im Kaufladen dagegen ist höchst entspannt, scherzt, freut sich, dass ein Fremder ihn beehrt.

Der Küste entlang stehen alle paar km diese für Fischer errichtete Einheitshäuschen.
Nach Guelmim schaffe ich es gerade noch zum Einbruch der Dunkelheit; und nach dem Einkauf im südlichsten Marjane-Supermarkt komme ich - vorsichtig! - auch in der Nacht nach Abaynou. Tschüss Sahara!

In der Nacht schlafe ich tief und sehr lange - der Streß fällt ab. Nach Agadir sind es nur noch 200 km, aber jetzt ist viel Verkehr, der Speckgürtel um die Stadt - insgesamt jetzt 1 Mio Einwohner - lebt, es zieht sich. Der erste Geldautomat ist außer Betrieb - wären die Strafzettel nicht gewesen! - zum zweiten führt mich das Navi in einen armen Stadtteil - unweit des herrschaftlichen Königspalastes. Die Frauen in den Gassen staunen über einen Fremden, die Jugendlichen über den, der sich durch die engsten Gassen traut; als es dann zu eng ist, muss ich umdrehen; ein Marokkaner in vornehmem Auto kommt mir entgegen - ich fahre nicht zurück, er hat nur 20 Meter. Er will nicht, partout nicht, aber hat schließlich gegen meinen schwäbischen Sturkopf keine Chance. Die Frauen lächeln. Der Geldautomat war dann direkt an der Hauptstraße, zwar in Betrieb, Geld gab es dennoch nicht.
Genervt erreiche ich das Ende der Stadt, den schönen Strand und direkt darüber den sehr gepflegten, allerdings schattenlosen Campingplatz Terre d'Ocean. Hier werde ich die nächsten Tage bleiben.

Die Tracks:
Keine Absicht, aber wohl auch nicht Zufall: Lamhiriz gibt es auch nicht
Boujdour2
Abaynou2
Agadir

geschrieben am 28. Februar und 2. März 2016


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