Montag, 11. Januar, bis Freitag, 15. Januar
Endlich bin ich wieder unterwegs nach dem langen Herbst zuhause mit dem Ausbau der neuen Kiste. Über Spanien will ich nach Marokko und weiter nach Westafrika, auf jeden Fall bis in den Senegal, dann möglichst noch weiter, vielleicht bis in die Elfenbeinküste und nach Ghana.
Erstes Ziel war wie immer meine Tante in Aigle in der Schweiz. Auf der Fahrt hat es am Rande des Schwarzwaldes wieder geschneit, aber schon am Genfer See schien die Sonne. Die zwei Tage im schneelosen Städtchen Aigle genoss ich mit vielen Gesprächen über vergangene Zeiten und die aktuelle Weltlage. Am Dienstag kam dann die Meldung über das Attentat in Ístanbul mit - zunächst acht, inzwischen zehn - deutschen Todesopfern und vielen Verletzten, offenbar gezielt gegen Deutsche gerichtet wegen der Beteiligung am Luftkrieg in Syrien. Keine guten Nachrichten für meinen Plan, durch Mali und die Sahel-Zone zu reisen!
Am Mittwoch ging es - nach spätem Aufstehen - weiter, Kilometerfressen auf der Autobahn Richtung Süden. Ich lerne den
Tempomat meiner neuen Kiste zu schätzen. Am Abend übernachte ich an der Raststätte nahe
Béziers; hier war ich vor
zwei Jahren schon einmal und muss noch die Geschichte vom marokkanischen Türken aus Rumänien erzählen. Ich war schon
nachmittags angekommen und stand arbeitend auf dem Parkplatz, als am Abend neben mir ein Auto hielt, Insassen: ein älterer und
ein jüngerer Mann mit seiner Frau. Während die Frau sogleich begann, das Auto sorgfältig und aufwendig innen und außen zu
putzen, kam ihr Mann zu mir und sprach mich an - ein bisschen Französisch, kaum Deutsch oder Englisch. Ein praktisches Auto
hätte ich mit einem schönen Bett. Das Kopftuch der Frau und die Fahrtrichtung ließen mich erst vermuten, sie seien Marokkaner
auf der Heimfahrt; befragt, erzählte er, sie seien Türken. Woher? Aus
Ankara. Das war mir
wenig glaubhaft, richtige Türken kommen nie aus Ankara, aber er kannte wohl keine andere Stadt. Wo sie hinwollten? Nach
Montpellier. Das war nun
der Beweis für seine Unglaubhaftigkeit, Montpellier lag schon 40 km hinter uns. Aber natürlich: Deutschland guttt!
Alle
finden im Ausland Deutschland immer gut. Sie meinen: wohlhabend. Und, auch klar: Stuttgart gutt
, wegen Mercedes und
Porsche. Schließlich kam er zu seinem Anliegen: einen gelungenen Innenausbau hätte ich und ein schönes, großes Bett. Und ich
sei doch ein Mann. Mit Bedürfnissen. Und ganz allein. Aber mit einem wundervollen Bett. Ob ich nicht - seine Frau - nur 20 €.
Aha! Nein! Also, dann: 10 €. Nein!! Das wollte er nun gar nicht verstehen und wandte sich kopfschüttelnd ab.
Die Frau hatte inzwischen aus dem Papiercontainer Pappe geholt als Unterlage für das Zelt, das sie nun aufbaute, bevor
sie das Abendessen kochte. Ich schaute mir zur Sicherheit noch die Autonummer an: RO, Rumänien. Keine Türken, keine
Marokkaner, sondern also Roma.
Auch der Donnerstag bescherte Autobahn, jetzt in Spanien, und mit gewohntem Bild: wenig Verkehr, fast nur LKWs - v. a. Kühllaster, die uns Obst und Gemüse aus den Gewächshäusern im Süden nach Mitteleuropa karren, man will ja das ganze Jahr über die volle Auswahl - einige Lieferwagen, kaum PKWs. Die Krise in Spanien hält an, Autofahren kann man sich nur geschäftlich leisten. Aber das Wetter wird immer besser, am Abend an der Raststätte nahe Gandía hat es noch immer 20 ° - der Winter ist für mich endgültig vorüber.
Am Freitagmorgen auf der dreispurigen Autobahn kurz hinter Alicante ein schlimmer Unfall: ein Lastzug fuhr gegen die linke Leitplanke - wohl ein Reifenplatzer -, dazwischen eingeklemmt ein PKW, auf dem Grünstreifen kämpfen die Rettungssanitäter, über uns ist der Hubschrauber im Anflug, die Autobahnmeisterei ist noch mit Absperren beschäftigt. Das Gefährlichste an meiner Reise ist eben doch nicht der Terror, sondern das Autofahren. Wäre ich heute Morgen eine Viertelstunde früher aufgewacht …
Mein erstes Ziel heute ist Pechina bei Almería, das römische Urci, wo Indaletius von Urci Bischof war. Noch hängt die Weihnachtsdekoration über der Straße, schon sind die Orangen reif.
Schon die letzten zwei Stunden war ich durch die typische südostspanische Landschaft gefahren: unfruchtbare Hügellandschaft mit wenigen kleinen Büschen, Prairie wie im Wilden Westen der USA und deshalb früher der Drehort vieler Western-Filme. Einkaufszentren kann man aber auch wie hier auf unfruchtbarem Boden bauen. Furchtbar. Auch das erinnert an Zustände im Wilden Westen.
Auch in Roquetas de Mar ist die Pfarrkirche leider verschlossen; an der Straße hierher wurden zwei Märtyrer des Spanischen Bürgerkrieges hingerichtet.
In einer Schlucht nahe des kleinen, schon in den Bergen liegenden Dorfes Vícar mit der wehrhaften Kirche wurden im Spanischen Bürgerkrieg Jakob Ventaja Milán und Manuel Medina Olmos getötet.
Nur wenige Kilometer von der Küste ist hier tiefste Provinz …
… während der Blick hinunter Richtung Meer das Bild zeigt, das die ganze Provinz bietet: Gewächshäuser aus
Plastikfolie soweit das Auge reicht. Obst und Gemüse wird von jungen Männern aus Schwarzafrika gepflückt, die man hier in
großer Zahl sieht. Sie leben illegal
hier, arbeiten für einen Hungerlohn, hausen in Verschlägen und ohne Familie.
Wer es zu etwas Wohlstand
gebracht hat, ist mit dem Fahrrad unterwegs zu seinen Arbeitsplätzen, die anderen wandern zu
Fuß die Straßen entlang. Wir bekommen dafür in unseren Supermärkten frische Ware zum kleinen Preis.
In Berja habe ich Glück, die Kirche ist offen, weil demnächst die Abendmesse beginnt. Ctesiphon von Vergium war hier der frühchristliche Bischof.
Neben der Kirche ist das Rathaus in der Abenddämmerung schon hell erleuchtet.
Im Radio kam die Meldung vom Überfall auf ein Hotel in
Ouagadougou in Burkina
Faso; inwischen weiß man: es gab 28 Tote, darunter mindestens 13 Ausländer. Vor knapp zwei Monaten hatten Fundamentalisten ein
Hotel in Malis Hauptstadt
Bamako angegriffen und
Geiseln genommen; 20 Menschen, darunter 14 Ausländer, wurden getötet. Und nahe der Grenze zu Mali wurde am Samstag in
Baraboulé in Burkina
Faso ein australisches Ehepaar entführt - ein Arzt und seine Frau, die seit Langem eine Klinik in der Region betreiben.
Auch Burkina Faso wäre vielleicht ein Ziel auf meiner Westafrika-Tour - langsam wird es eng! Der französische
Staatspräsident sagte die Hilfe
französischer Einsatzkräfte zu. Ja: es ist Krieg, reich gegen arm - man müsste blind
sein, um das alles nicht mit den ausgebeuteten Gemüsearbeitern hier vor Ort in Verbindung zu bringen. Und im Newsletter von
Radio Vatikan lese ich gerade: Brot für die Welt
und Misereor
fordern eine Reform des Weltagrarhandels. Sie
prangern die Verdrängung lokaler Produzenten in der Dritten Welt durch vermehrte Billig-Exporte von Milchpulver unter anderem
aus der EU an. Immer mehr Kleinbauern und Viehhirten in Westafrika stünden mittlerweile wirtschaftlich vor dem Aus. Zusätzlich
kauften Nahrungsmittelkonzerne und Molkerei-Großgenossenschaften aus der EU etwa in Burkina Faso verstärkt Molkereien auf und
verdrängten so die lokale Verarbeitung und Wertschöpfung.
Am späten Abend komme ich an mein heutiges Ziel, den Campingplatz in Torrox Costa, an dem ich schon letztes Jahr war; diesmal sind aber viel weniger Leute hier, wieder hauptsächlich Briten. Hier werde ich einige Tage die Wärme genießen, arbeiten und mich auf Marokko vorbereiten. Auch den Senegal werde ich erreichen - aber dann?
Die Tracks:
Aigle
Béziers
Gandía
den Track bis Torrox wollte das Gerät mal wieder nicht
geschrieben am 17. Januar 2016