Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Eis(en)zeit

   J. Schäfer          

Montag, 19. Mai

Ich komme nach Arles-sur-Tech, wo im ehemaligen Kloster die Gebeine der Märtyrer Abdo und Sennis liegen.


Das Kruzifix zeigt, dass ich in der Gegend der Eisengewinnung und -verarbeitung bin.

Über dem Portal der Kirche grüßt dieser segnende Christus

Als Meisterwerk der Schmiedekunst gilt dieses Kreuz aus dem 16. Jahrhundert.

Ich fahre in die Berge, wo hoch oben in den Minen von Batère bis vor einiger Zeit Eisenerz abgebaut wurde. Die ehemalige Bergarbeiterunterkunft ist heute Herberge für Wanderer.

Der Reiseführer schreibt zurecht, man müsse lange nach einem Hotelzimmer mit solcher Aussicht suchen.

Dass hier im Stein Eisen ist, sieht man.

Ein Plan hier oben zeigt mir, dass es einen Forstweg ins nächste Tal gibt, den man auf eigenes Risiko befahren darf; so spare ich mir 14 km Rückweg auf der einspurigen Straße nach Arles-sur-Tech und den Pass, der von dort zum Ziel führt und womöglich auch nicht viel breiter ist. Das Fahren auf den - wie immer bestens asphaltierten und gepflegten - schmalen Straßen mit ihren unzähligen Kurven ist anstrengend. Auf dem Forstweg geht's noch ein Stück hinauf, dann begegnet mir diese Rotte Pferde - scheinbar herrenlos, auch sehr scheu.

Auch diesen Pass bewachte ein Wachtturm.

Der Berg in Wolken ist der Canigou, 2784 Meter hoch. Dass die Pyrenäen ein durchaus mit den Alpen vergleichbares Gebirge sind, war mir nicht so klar; das liegt wohl daran, dass hier fast alle Berge bis in große Höhen bewaldet oder mindestens grün sind; tatsächlich sind die Täler meist enger und die Steigungen größer als in den Alpen.
Entstanden ist die Auffaltung, als sich die spanische Halbinsel näher an den Kontinent schob; wir setzen heute effizientere Methoden ein, den Spaniern Europa zu vergällen.

Wie hier überall kleben die Dörfer am Berg, an der Spitze die Kirche, eng darum herum die Häuser.

Ich bin im Kloster St-Michel-de-Cuxa, in das sich der venezianische Doge Petrus I. Orseolo zurückgezogen hat; er hatte einen erfolgreichen Aufstand mitgemacht und wurde so zum Dogen; die schrecklichen Folgen des Aufstandes aber plagten sein Gewissen so sehr, dass er freiwillig abdankte und - begleitet von Romuald von Camaldoli - zur Buße in die Einsamkeit ging.
Die Krypta aus dem 9. Jahrhundert ist berühmt als technische Meisterleistung jener Zeit, ihr Gewölbe ruht auf dieser einen Säule.

Auch die anderen Räume der Unterkirche sind eindrucksvoll.

Besonders sehenswert ist der Kreuzgang aus dem 11. Jahrhundert mit seinen Kapitellen - sie sind restauriert -, die deutlich Anklänge an heidnische Vorstellungen zeigen. Rund die Hälfte des Kreuzgangs haben Anfang des 20. Jahrhunderts Amis mitgenommen, sie sind heute im Metropolitan Museum of Art in New York zu sehen.

Der Altarstein, 974 geweiht und damals aus einem alten Denkmal genommen, ist aus Marmor; nach der Revolution wurde er verkauft und als Balkon verwendet; 1974 wurde er zurückerworben und wieder geweiht.

eine Christusfigur aus dem 15. Jahrhundert

Kirche und Turm - 38 Meter hoch - aus dem 11. Jahrhundert

Ein Stück oberhalb des Kloster ist ein Dorf, in dessen Nähe Romuald von Camaldoli als Einsiedler lebte; wie in vielen Dörfern gibt es auch hier noch ein öffentliches Waschhaus.

Hier spricht man Katalan ist die Inschrift an einer Scheune am Straßenrand. Dieses katalonische Bewusstsein ist hier ungemein lebendig, überall sieht man die katalonische Flagge (nicht rot - gelb - rot wie die spanische, sondern viele rot - gelbe Streifen untereinander). Nur als Beispiel: Eine Führung im Kloster wurde angeboten in Französisch - Katalonisch - Kastilisch (mit spanischer Flagge) - Italienisch und Deutsch.

Gesamtbild von Kirche und Kloster; sehr schön sieht man, wie die Straße ursprünglich ins Kloster führte - nicht wie heute außen herum.

einfach grandios: die Bergwelt

Immer wieder gibt es Erinnerungen an die Eisenindustrie, die hier verbreitet war. In diesem Ort wurde der Bergbau 1957 eingestellt; in 60 Meter Tiefe wurde das Erz gebrochen; seit 2012 erinnert dieses Kunstwerk an den einstigen Förderturm. - Nein: über Kunst soll man nicht streiten.

Ich will nach Andorra. Zwar gab es dort nie Heilige, aber wenn ich schon einmal in der Gegend bin ... Auf dem Weg komme ich vorbei an Villefranche-de-Conflent: eine mittelalterliche Stadt, nie zerstört und deshalb komplett original erhalten einschließlich Stadtmauer ringsum, UNESCO- Weltkulturerbe. Der berühmte Festungsbauer Vauban rüstete die Mauer im 17. Jahrhundert zuletzt noch einmal auf.

Schade nur, dass die Autos auch ins Mittelalter Einzug gehalten haben ...

Ein Luftbild zeigt die Stadt am Schnittpunkt von drei Tälern.

Auch der Kirche kann man Wehrhaftigkeit nicht absprechen.

Die Berge werden immer höher.

der letzte Pass vor der Grenze

Und dann empfängt mich das erste albanische Dorf, Pas de la Casa, es liegt auf gut 2000 Meter Höhe, die Bergspitze dahinter ist 2614 Meter hoch.

Andorra ist Steuerparadies ohne Einkommensteuer, natürlich ohne Erbschafts- oder Vermögenssteuer, ohne Steuern auf Tabak, Branntwein, Kaffee u. ä. - erst vor kurzem wurde eine Mehrwertsteuer von 4,5 % eingeführt. Dem Staat scheint es dennoch sehr gut zu gehen: Die Straßen sind breit ausgebaut und in allerbestem Zustand; abgesehen von einigen Seitenstraßen gibt es nur eine Straße, die durchs Land führt und die französische mit der spanischen Grenze verbindet. Geld verdient man als Finanzplatz, durch die gerne einkaufenden Massen und neuerdings verstärkt als Skifahrer-Zentrum; offensichtlich ist die Saison gerade erst vorüber.
Die Straße führt durch das steile, enge Haupttal, steil hinab in die Hauptstadt Andorra la Vella - man spricht hier Spanisch. Nur ⅓ der 70.000 Einwohner sind Bürger des Landes, die anderen v. a. Spanier, dann Franzosen und Portugiesen. Durch die Orte darf man mit 60 brausen, ich fahre die, dennoch werde ich ständig überholt. In Frankreich hält man sich an die Regeln, hier aber scheint es keine Polizei zu geben.

Dienstag, 20. Mai bis Mittwoch, 21. Mai

Nach einer Nacht auf einem - sagen wir: verbesserungswürdigen - Campingplatz - wo sollte man hier sonst ein Plätzchen für die Kiste finden? - fahre ich ins Zentrum der Hauptstadt. Es gibt aber nicht nur keine Heiligen in Andorra, es gibt auch keine Sehenswürdigkeiten - außer dem Land als solchem.

Auffallend nur: alle Häuser sind schmal und hoch - Platz ist knapp ...

... und deshalb muss man auch die steilen Hänge mühevoll bebauen.

Voilà: die Hauptstadt in ihrer ganzen Größe.

Es wird Zeit, wieder etwas vernünftiges zu tun - natürlich nicht ohne im Grenzort zu tanken und Zigaretten zu kaufen. Es ist ein Erlebnis, dass sich die €-Anzeige der Zapfsäule (fast) nicht schneller dreht als die der Liter. Noch mehr als Zigaretten werden hier Schnaps und Kosmetik angeboten; das brauche ich nicht. Aber ein voller Tank plus eine Stange Zigaretten für unter 100 € - das hat man nicht alle Tage. Nur das Brot ist teuer: in Frankreich kostet ein Baguette 30 oder 35 Cent - genauso wenig wie ein Brot in der Türkei! - hier 99.
Für die Ausreise versprach der Reiseführer stundenlanges Schlangestehen, weil die Franzosen streng kontrollieren. Bei mir war keine Schlange, zwei gelangweilte Zöllner winkten mich durch. Wenn ich das vorher gewusst hätte ...

Zurück in Frankreich und schon im Vorgebirge der Pyrenäen will ich die Höhle Lombrives besuchen, laut eigener Aussage die ausgedehnteste Höhle Europas, seit Urzeiten von Menschen benutzt und bewohnt, Zufluchtstätte angeblich auch der Albigenser. Man fand dort viele Menschenknochen und schrieb sie deshalb den Verfolgern der Andersgläubigen zu; andere Theorien beschuldigen Cäsar, hier Gallier eingemauert zu haben - so wie bei den Sieben Schläfern, nur offenbar ohne happy-end. Diese Höhle wurde - als erste weit und breit - schon 1540 beschrieben.
Die Besichtigung ist - anders als im Reiseführer versprochen, nur nach telefonischer Voranmeldung möglich.

Also besuche ich gleich um die Ecke die weltberühmte Höhle von Niaux, mit ihren bedeutenden, bis zu 17.000 Jahren alten Höhlenzeichnungen. Da parkt man auch schon gut überdacht. Anders als im Sommer hält sich der Besucherandrang noch in Grenzen. Die ersten Zeichnungen in der Höhle wurden erst 1906 entdeckt, das Besucherzentrum und Denkmal wurde 1994 gebaut.

Mein wichtigstes Tagesziel erreiche ich am späten Nachmittag: die sagenumwobene Burg Montségur, die schon von weitem sichtbar wird.

Am Beginn des Aufstiegs wurde um 1950 dieses Denkmal mit Symbolen der Albigenser aufgestellt.

Nach gut einer halben Stunde, schwitzend - obwohl es glücklicherweise bedeckt und nicht sehr warm war - und keuchend war ich oben.

Man sieht nichts besonderes - und das, was man sieht, stammt auch nicht mehr von den Albigenser, sondern von dem Herren, dem die Burg nach deren Niederlage übergeben wurde. Aber man weiß, was Plackerei ist und denkt mit Respekt an die über 220 Aufrechten, die hier für ihren Glauben in den Tod gingen. Wobei natürlich Manichäismus theologischer Quatsch ist, egal ob bei den Albigensern oder bei George Bush.

Aber der Ausblick ist großartig, bei klarem Wetter sieht man im Norden Toulouse ...

... und gen Süden, dass meine Kiste noch auf dem Parkplatz steht.

Ein Unterstützer der Albigenser war der Fürst, der in diesem Schloss im nahen Foix residierte, damals ein mächtiger Mann. Er und die Herren von Toulouse beherrschten die Region, die gnadenlose Bekämpfung der Albigenser hatte nicht zuletzt auch den Zweck, deren Macht zu brechen.

Foix ist ein nettes Städtchen, der Aufstieg zur Burg natürlich wieder steil, aber glücklicherweise sehr viel kürzer. Auch im Burgberg ist eine Höhle mit der 17.000 Jahre alten Zeichnung eines Pferdes.

Am Abend will ich noch in ein kleines Dorf, den Geburtsort von Raimund von Roda-Barbastro. Menschen machen ja keine Fehler, es sind immer die Computer, deshalb führt mich mein Navi in die entgegengesetzte Richtung meines Ziels, in einsame, weitläufige Hügellandschaft der Vor-Pyrenäen. Unterwegs treffe ich eine große Schafherde, gehütet nur von zwei wunderschönen, großen Hunden, die die Anvertrauten gerade nach Hause treiben.

Es bimmelt in einem fort, viele Schafe tragen Glocken.

Auf dem Rückweg nehmen Kühe ihr Abendessen ein.

Kurz danach komme ich an einen Friedhof in einem Dorf mit knapp 10 Häusern. Aber die Gräber - alle Achtung. Man bestattet hier oberirdisch, wohl, weil der Boden zu felsig ist.

Neben diesem Friedhof, fast am Ende der Welt: dieser Briefkasten, bestens gepflegt. Meine Post würde ich ihm allerdings wohl doch nicht anvertrauen. Es gibt in Frankreich auch noch eine funktionierende Post mit Postamt auch in kleinen Orten, gut ausgerüstet: für die Briefmarken legt man seine Sendung auf eine Waage, menügesteuert gibt man das Ziel ein, bekommt den Preis angezeigt - viel niedriger als in Deutschland - und die Marke ausgedruckt.
Ich kann mich einfach immer wieder begeistern an diesem Land, das seinen Menschen eine wirklich funktionierende Infrastruktur bietet. Und nachdem ich erst heute Morgen wieder den Geruch des Neoliberalismus in Andorra geatmet habe, gilt das erst recht.

Danach findet mein geläutertes Navi - ich habe es schon in der Türkei in höchsten Tönen gelobt, hier ist es grandios: es findet jede Hundehütte und das kostenlos, es ist eine Handy-App als Freeware: Navigator free von mapfactor.com - das richtige Dorf, Durban-sur-Arize. Den Fußweg zur Burg schenke ich mir.

Auf dem Weg dorthin habe ich im Naschbarort einen Wohnmobil-Standplatz mit einigen dort Parkenden gesehen, den schaue ich mir an: unter riesigen schattenspenden Platanen, mit sauberster Sitz-Toilette, direkt am Bach. Hier bleibe ich auch noch am Mittwoch und schreibe, zumal das Wetter durchwachsen ist: in der Nacht und am Morgen habe ich den ersten Regen dieser Reise erlebt.

Der Platz liegt längs der Straße, die gerade schmäler gemacht wird: schon fast alle Ortsdurchfahrten sind in Frankreich zurückgebaut, so schmal, dass man gerade durchkommt, LKW-Fahrer müssen das millimetergenau machen. Von den vielen Rallentisseurs habe ich schon geschrieben, dazu gibt es jede Menge künstliche Verschränkungen und künstliche Engstellen, an denen nur ein Fahrzeug durchkommt. Ortschaften sind für Menschen da. Und hier wird das jetzt also auch gemacht. Heute Morgen kurz vor Acht haben drei Bauarbeiter begonnen, die neuen Randsteine zu setzen. Ich mache jetzt Feierabend, denn es ist 20.30 Uhr. Die aber arbeiten noch immer, haben rund 150 Meter Randsteine gesetzt - wahrhaftig eine harte Arbeit - und keinen Mittagsschlaf gemacht. So viel zum Thema faule Südländer; einer der drei ist sogar schwarz.

Donnerstag, 22. Mai

Auf der Weiterfahrt komme ich bald an eine Stelle, an der die Straße durch eine Höhle führt: bei Le-Mas-d'Azil hat der Fluss Arize eine über 400 Meter lange Höhle in den Felsen gegraben, durch die nun der Fluss und die Straße führen. Wozu den Menschen früher die Höhle diente, zeigt ihr Name.

Auch etwas Besonderes: das Dorf St-Martin-d'Oydes. Dort steht die Kirche des ehemaligen Klosters, in dem Anastasius von Cluny starb, mitten in den in einem geschlossenen Kreis rundherum angeordneten Häusern; der Zugang zum Kirchplatz führt durch ein Tor unter einem der Häuser (in der Mitte zu sehen).

Eine echte Entdeckung: die wunderschöne mittelalterliche Kleinstadt Mirepoix. Rund um den Markt- und Kirchplatz gibt es breite, überdachte Einkaufspassagen.

Hier springt mir auch ins Auge, was es heißt, Kirche ohne Kirchensteuer zu sein: Gebühren für die Gottesdienste - die gab es früher bei uns auch, Stolgebühren genannt. Heiraten ist teurer als Sterben; warum aber neun Messen zum Gedenken (Neuvaine) das zehnfache von einer kosten, und selbst 30 Messen nur 10 € Mengenrabatt ergeben, ist mir nicht klar.

In der Kathedrale des Städtchens gibt es eine Orgel auf einer wundervoll geschnitzten Empore. Die Orgel selbst stammt von Link in Heidenheim und funktioniert seit weit über 100 Jahren heute ohne Erneuerung!

auch wunderschön: der Windfang.

Fast mittelalterlich: das Fahrzeug dieses wohl am weitesten gereisten Besuchers in Mirepoix: er kommt aus Hawaii.

Frankreich ist eine Kulturnation, das zeigt sich hier mitten auf einem Acker.

In Fanjeaux erlebte Dominikus an dieser Stelle die Erscheinung eines dreifachen Feuerballs, die seine Schrift über den wahren Glauben bestätigte, die er dann einer Albigenser-Gemeinschaft sandte, wodurch viele Katharer sich bekehrten - so sagt es die Überlieferung. Tatsächlich scheiterten die Gespräche, es folgte der Kreuzzug und ihre Vernichtung.

Unterhalb des Hügels gründete Dominikus daraufhin eine Missionsstation und ein Haus mit einer Kapelle zur Aufnahme von bekehrten Albigenserinnen: Prouille wurde das erste Dominikanerkloster, später prächtig ausgebaut, heute eine Künstlerkolonie.

Im Städtchen Montréal - nicht die Metropole in Kanada, sondern eine Kleinstadt in der französischen Provinz - gibt es vor dem Rathaus einen großen Wasserfall. Die Franzosen haben Ideen ...

Ich bin in Montréal, weil auch hier Petrus von Castelnau eines seiner Streitgespräche mit den Albigensern hatte; die scheiterten zwar alle, schlussendlich aber wurden die Ketzer besiegt und vernichtet, deshalb vergrößerte man hier die Kirche auf ein gigantisches Ausmaß, das sich mit dem Foto gar nicht einfangen lässt.

In Carcassonne gibt es zwei Kirchen, die innen wertvoll ausgestattet sind; in der Kathedrale verfolgt mich die Mesnerin auf Schritt und Tritt, damit ich nur ja nicht eine der heiligen Seitenkapellen betrete; um mir das zu erklären, holt sie sogar einen Priester zu Hilfe. Aber ich weiß doch mit Mesnerinnen umzugehen ...
Sonst bietet die Stadt wenig, außer diesem schönen Neptun-Brunnen.

Am Abend bin ich in Fontcouverte, wo Johannes Franz Regis geboren wurde. Neben der Kirche stehen die Müllcontainer: die gibt es hier überall; in jedem Dorf, an den Autobahnraststätten, auf den Campingplätzen: der Müll wird feinsäuberlich getrennt. Wir halten uns so viel zugute ob unseres Umweltbewusstsein, dabei könnten wir von den Franzosen noch etwas lernen, die wir doch oft gerade in Sachen Umwelt für unterbelichtet halten - was die Atomkraftwerke betrifft, gilt das natürlich, aber sonst könnten sie uns als Vorbild dienen, zumal wir in Deutschland den gelben Sack gerade abschaffen wollen.

Freitag, 23. Mai

In Castelnaudary gründete Maria-Theresia de Soubiran La Louvière einen Orden, dessen Haus wenige Schritte von der Kathedrale entfernt ist. Die fällt auf durch ihren durchlässigen Kirchturm.

Im Schloss in Avignonet-Lauragais starben 1242 die Inquisitoren Stephan von St-Thibery, Wilhelm Arnaud und neun weitere Mitglieder des Inquisitionsgerichts durch Kämpfer der Albigenser aus Montségur; das Schloss wurde nach dem Sieg über die Ketzer abgerissen, die Kirche vergrößert.
Aber das Fotografieren wird jetzt schwierig: das Wetter hat sich radikal verschlechtert, es schüttet mit kurzen Unterbrechungen - da helfen auch alle Manipulationen am Computer - siehe dasselbe Bild bei Wilhelm Arnaud - nicht viel.

Selbst das Kreuz zur Erinnerung an die Märtyrer steht düster da. Inschrift: Sei gegrüßt, du heiliges Kreuz, unsere einzige Hoffnung.

Etwas unterhalb der ehemaligen Schlosses steht noch der alte Pulverturm mit einer 1850 errichteten Statue, die wohl den militärischen Anführer des Kreuzzuges gegen die Albigenser, Simon von Montfort, darstellt, der 1218 starb beim Versuch, Toulouse zu erobern durch einen - der Überlieferung zufolge von Frauen - aus der Stadt mit einem Katapult abgeschosenen Stein.

Dass es auch in im letzten Jahrhundert kriegerisch zuging, zeigt das Denkmal gegenüber: errichtet wurde es für die Kriegstoten 1914 - 1918. Dann wurden diese Jahreszahlen überklebt und mit 1939 - 1945 ergänzt. Schließlich musste ein Zusatzschild angebracht werden: Indochina 1945 - 1954, Nordafrika 1952 - 1962. In zwei Tagen sind Europawahlen, welch ein Fortschritt!

Unterwegs steht diese hübsche Windmühle. Das Wetter zeigt jetzt tatsächlich seine Macht, es ist nass und kalt.
Und an den nächsten beiden Orten finde ich nicht, was ich suche. Meine Stimmung ist auf dem Höhepunkt ...

... bis am Abend das Wetter wieder etwas besser wird und ich zur gesuchten heiligen Germana Cousin doch noch ein gewaltiges Sanktuarium antreffe.
Auf der Esplanade dort steht diese bestrickte und geschmückte Leuchte - nett!

Dort sind auch das Bürgermeisteramt und kommunale Einrichtungen und deshalb die Wahlplakate. Hier verschandeln nicht tausende Plakate die Ortschaften, sondern es gibt vor den Behörden die Ständer, auf der die Parteien ihre Plakate aufhängen können - nummeriert nach dem Platz auf dem Stimmzettel - und die Nr. 1 hat hier nicht wie bei uns die bislang größte Partei, sondern es wird offenbar gelost - deshalb ist Nr. 1 die linke Partei Arbeiterkampf, Nr. 2 die Front Nationale, Nr. 8 die Grünen, erst Nr. 9 die konservative UMP und die regierenden Sozialisten sind ganz weit hinten - echte Chancengleichheit eben.

Am Abend, in L'Isle-Jourdain, zeigt sich die Sonne doch noch einmal. Ich gehe Pizza essen, der Wetterbericht im Fernsehen kündigt für die nächsten sieben Tage Regen an - toll!

Samstag, 24. Mai

Und dann finde ich auch noch das Geburtshaus von Germana Cousin, heute ein Wallfahrtsort, an dem einige Leute fleißig arbeiten - vom 13. bis 15. Juni ist die nächste Wallfahrt, die den ganzen Samstag hier verbracht wird.
Nach armen Eltern - wie in der Legende - sieht das Haus aber nicht aus.

In Auch besuche ich die große und großartige Kathedrale, besonders herausragend ist das Chorgestühl mit über 100 Gestalten des Alten TestamentsIch verwende den Begriff Altes Testament, wissend um seine Problematik, weil er gebräuchlich ist. Die hebräische Bibel, der „Tanach” - Akronym für „Torah” (Gesetz, die fünf Bücher Mose), „Nevi'im” (Propheten) und „Kethuvim” (Schriften) - hat aber natürlich ihre unwiderrufbare Bedeutung und Würde., beginnend beiAdam und Eva.

Auch der Renaissance-Altar ist nicht von schlechten Eltern.

Besonders verehrt wird hier Maria von Auch.

Schon in der Kathedrale haben sie mit mir das Chorgestühl angeschaut und sich am Tresen, an dem normale Menschen den Eintritt bezahlen, den Pilgerstempel abgeholt - dann ist auch der Eintritt frei. Jetzt treffe ich sie wieder auf dem Markt vor der Kirche: echte Wanderer, aus Holland, zu Fuß unterwegs auf dem Jakobsweg.

Auch ist schön, lebendig, jetzt sogar sonnig. Wenn diese Städte nur nicht immer auf der Spitze der Hügel liegen würden ... Bei der Anfahrt habe ich Mühe, aus einer Sackgasse - das Schild hatte ich übersehen und das Navi nimmt auch noch den engsten Durchlass als Straße - rückwärts wieder hersauszukommen. Aber das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf Kommendes ...

In diesem Haus war die Druckerei, die die Hefte der Freiheit, die Zeitschrift der Réstistance, herausbrachte. Fünf Beschäftigte wurden später in KZs verfrachtet.

Gibt es auch nicht überall: die Jakobiner-Kirche, ein in der Revolution enteignetes Dominikanerkloster, schon 1793 zum Museum umgewandelt und damit eines der ältesten in Frankreich.

Gegen Mittag komme ich ins kleine Dorf Simorre zum ehemaligen Kloster, von dem nur die große Kirche übrig ist; auch ihr sieht man die Wehrhaftigkeit an. Ceratus von Grenoble begenet mir hier wieder, er wirkte hier, bevor er Bischof wurde.

Den Mittagsschlaf mache ich am Rand eines Dorfes, wieder in einer Platanenallee. Eigentlich dürfte hier offenbar nicht stehen: Nomade bin ich, und fahrender Händler ja eigentlich auch, denn ich verkaufe ja auch von unterwegs das Ökumenische Heiligenlexikon. Es ist übrigens das erste Mal, dass ich ein solches Schild sehe.
Und, wie man sieht: auch kurz nach Mittag ist es elend düster!

In Tarbes werde ich zufällig Zeuge des Firm-Gottesdienstes (hier confirmation genannt, da es ja fast keine evangelische Konkrrenz gibt) in der Johanneskirche. Ein lebendiger, jugendgemäßer Gottesdienst, alle Achtung!

Die Kathedrale der Stadt - gegenüber dem Krankenhaus, in dem einst Marie Bernarde Soubirous auf ihre Zurechnungsfähigkeit untersucht wurde - bald schon werde ich in Lourdes sein - hat einen merkwürdigen Barock-Vorbau. Mit Geld kan man kann alles verschandeln ...

Am Abend komme ich nach St-Bertrand-de-Comminges, wo Bertrand als Bischof residierte. Auf dem Campingplatz will ich den Sonntag verbringen und auf besseres Wetter warten.

Sonntag, 25. Mai

Das Foto der Kathedrale, die vor den Bergen der Pyrenäen steht, zeigt: das Wetter wurde nicht besser, sondern schlechter. Die ganze Nacht hatte es geregnet, heute kommen die Wolken immer noch tiefer, es regnet und schüttet, der Platz steht zunehmend unter Wasser, dazu ist es lausig kalt. Dass es die Eisheilige auch hier und dazu mit vierzehn Tagen Verspätung gibt, ist neu.
Internet gibt's hier auch nicht; es ist trostlos. Ich verbringe den Tag arbeitend und am Abend beschließe ich: wenn es morgen nicht besser aussieht, mache ich 'rüber über die Berge nach Spanien; die Berge müssten doch Wettergrenze sein und in Spanien also Sonne winken ...
Im Radio höre ich dann die Ergebnisse der Europawahl. Hörbares Entsetzen über den haushohen französischen Wahlgewinner Front Nationale. An zweiter Stelle wird in den Nachrichten das deutsche Ergebnis genannt. Marine le Pen redet von Freiheit, die sich die Franzosen schon früher erkämpft haben und mit dieser Wahl wieder erkämpfen wollten. Schlimme Sprüche höre ich von ihr nicht.

Montag, 26. Mai

Es ist nicht besser geworden; also schaue ich mir noch die Kathedrale an, und dann ab nach Spanien.
Das mittelalterliche Städtchen ist wirklich schön.

Auch diese Kathedrale hat ein wunderbares eichernes Chorgestühl mit 66 Plätzen, 1535 eingeweiht ...

... und ansehnliche Sarkophage nobler, mit dem Kloster verbundener Herren

Wenn das Wetter besser wäre ...

St-Bertrand-de-Comminges war schon in der Römerzeit besiedelt, hier die Ausgrabungen der Thermen.

Es gab auch eine frühchristliche Kirche.

Und dann also ab in den Süden. Überraschenderweise ist hier die Grenze schon vor dem Pass (sonst läuft sie immer über die höchsten Berge der Pyrenäen), was man heute nicht mehr an Kontrollen erkennt, sondern an der typischen Begeisterung, zum Ausdruck gebracht an der Fassade eines Supermarktes im spanischen Grenzort: Fernando Alonso, wir sind bei dir.
Bei mir ist kein Brot mehr, deshalb gehe ich in den Supermarkt auf meiner Straßenseite; ein riesiger Laden, voll mit Schnaps und Wein - scheint in Spanien günstiger zu sein als in Frankreich, die Reisenden kaufen massenweise. Doch, schließlich finde ich es: Brot gibt es auch. Ich werde es noch brauchen können ...
Im (noch) französischen Radio ist der Wahlsieg der Front Nationale das Thema, den ganzen Vormittag auf und Ab in allen Sendern, mit hörbarem Entsetzen und recht hilflos klingenden Versuchen einer Erklärung. Dabei ist die doch einfach: die Franzosen wollen nicht Merkels Neoliberalismus. Und die Italiener auch nicht, wie das dortige Ergebnis zeigt.

Die Straße geht hier gar nicht über den Pass, sondern durch einen langen Tunnel (kostenfrei - merkt auf, ihr Österreicher!). Auf der Südseite, gut 1500 Meter hoch: Neuschnee! In Spanien. Deshalb bin ich nicht gekommen!

Später geht die Fahrt auf Nebenstraßen durch die Berge mit großartigen Schluchten - und das Wetter ist deutlich besser geworden.

Erstes Ziel in Spanien ist Roda de Isábena, wo Raimund von Roda-Barbastro Bischof war. Dem bin ich schon an seinem Geburtsort Durban-sur-Arize begegnet - das zeigt, dass es schon damals keine Grenze gab. Das geeinte Europa ist eigentlich kein Fortschritt, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Natürlich wieder ganz oben am Berg: die Kathedrale mit einer schönen Statue über dem Eingang ...

... und ansehnlichem Kreuzgang.

Bei der Weiterfahrt - das Wetter wird immer besser, das Rübermachen war richtig - fällt mir in Benabarre diese befestigte Kirche auf (inzwischen weiß ich aus dem Internet: es war ein Kastell und ist heute Bauernhof). Da will ich hin; zunächst fahre ich auf der Suche einmal rundherum, dann in die Altstadt am Fuß des Hügels. Das Schild verspricht eine 2,30 Meter breite Gasse, das reicht mir dicke. Doch plötzlich steht in der Gasse ein Gerüst, mindestens 50 Zentimeter breit - 1,80 Meter ist zu eng. Also rückwärts, steil bergauf, um eine Biegung in der Gasse, also mit schleifender Kupplung. Nach rund 200 Metern - fast am rettenden Ausgang - ist Schluss: kein Druck auf dem Kupplungspedal.
Dass die Kupplung irgendwann fällig wird, ist klar, sie ist eben nur ein Verschleißteil; wenn es dann trotz aller Inspektionen unterwegs soweit ist, ist es ärgerlich.

Ich stehe mitten in der engen Gasse, ein Bauarbeiter kommt zu Hilfe, aber da kann man nichts machen. Es gebe eine Telefonzelle am Marktplatz (mein Handy versagt den Dienst, nachdem ich beim Neustart aus Dummheit dreimal die falsche PIN eingegeben hatte, die Super-PIN liegt zuhause); die Telefonzelle nimmt nicht nur Karten, sondern auch Geld, sogar 2-€-Stücke - nur so nebenbei bemerkt, lieb deutsche Telekom!. Der ADAC verspricht Hilfe, die kommt recht schnell, zieht mich erst mit einem Jeep rückwärts aus der Gasse - endlich, seit einer halben Stunde habe ich zweidutzend Mal erklärt, dass man nicht mehr durchfahren und ich das auch nicht ändern könne - und hier sprechen alle Spanisch, nur ich kein Wort! Dann werden die Kiste und ich auf dem Abschleppwagen zu Ford nach Barbastro chauffiert - da wollte ich sowieso hin.
Gut, dass ich in Spanien bin. In Deutschland wäre um 17 Uhr Feierabend, hier aber beginnt das Geschäftsleben nach der Siesta jetzt erst wieder. Zwei Tage werden sie brauchen. Gegenüber ist ein Hotel, da kann ich wohnen.

Dienstag, 27. Mai bis Mittwoch, 28. Mai

Das Hotel ist schön, der Blick vom Balkon geht auf die Werkstatt und im Hintergrund in die mit (Neu-)Schnee bedeckten Pyrenäen.
Dennoch ist die Krise hier in Spanien mit Händen zu greifen. Das Hotel - mindestens 60 Zimmer - ist leer; als ich komme, muss der Mann an der Rezeption erst den Computer in Gang setzen. In der großen Ford-Werkstatt waren gerade Mal zwei Mechaniker zugange, auf dem Hof kaum Autos. Schon seither ist mir aufgefallen, dass es insgesamt wenig Verkehr gibt; auch die Tankstelle neben dem Hotel wird kaum besucht. Abends gibt es in der Stadt sehr wenige Lichter - es wird offenbar an allen Ecken und Enden gespart und das Leben reduziert sich aufs Überleben.

Am Morgen rief die Werkstatt an, zeigte mir dann die Kupplung - vom Belag ist nichts übrig, auch die Schwungscheibe hinüber, Brems- und Kupplungsflüssigkeit (das ist dieselbe in einem Behälter) total aufgebraucht. Nach einer Stunde der nächste Anruf: der Mechaniker hat festgestellt, dass auch die Vorderbremsen abgefahren sind. Das kann nicht sein, die sind ja relativ neu; als ich sie mir anschaue: tatsächlich: sie sind ungleich abgefahren, auf der einen Seite noch der komplette dicke Belag, auf der anderen Seite fast nichts mehr, also wechseln. Ich sage ihm, sie seien letztes Jahr in der Türkei gewechselt worden - er grinst. Die Auswechslung kostet hier aber auch mehr als das Fünffache des Preises in der Türkei.
Ich genieße das Hotel, alles bestens hier - und bezahlt vom ADAC - jetzt muss ich ihm danken, nachdem ich ihn vor einiger Zeit ja gescholten habe. Am Dienstag kämpfte das Wetter an gegen die aus dem französischen Norden hereindrückenden Wolken - aber Spanien gewann die Schlacht, hier schien die Sonne.

Spanien hat den Krieg nun doch verloren, über Nacht hat es geregnet, jetzt hängen die Wolken tief, am Abend regnet es wieder. Die Fernsehnachrichten melden Hagel auf Mallorca, zeigen große Schneemassen in Logroño - auch am Fuß der Pyrenäen, im Westen, dort wo ich eigentlich nun hin will -, und zeigen den Reporter aus Almería im Süden in dicker Winterjacke. Und der Wetterbericht kündigt Regen an. Toll! Aber es soll wieder besser werden ...
Als ich nach dem Mittagsschlaf auf dem Balkon stehe, sehe ich gegenüber: meine Kiste verlässt die Werkstatt zur Probefahrt. Sie läuft! Ein Lob der spanischen Werkstatt. Nur die Frauen bei Ford sind in der Türkei - trotz Kopftuch - hübscher als hier - nix von wegen rassige Spanierinnen -, aber sie sind hier nett; die eine spricht gut Französisch, die andere sehr gut Englisch.

Abends will ich mich belohnen, fahre in die Stadt, will Essen gehen. Drei mal gibt's Restaurants, die bieten alle Frankfurter, eines hat Hamburger im Angebot, sonst Bars - so habe ich mir das nicht vorgestellt. Also gehe ich zurück in mein Hotel, da bekomme ich etwas - auch wenn ich der einzige Gast bin. Die Bedienung - kein Wort Französisch oder Englisch - schlägt als Vorspeise Salat vor, als Hauptgang verschiedene Sorten Fleisch, darunter Brasa - das kenne ich nicht, also nehme ich es; sie schaut etwas ungläubig. Es kommen zwei Hühnchenschlegel, im Backofen mit viel Zwiebeln gebraten, äußerst zart und lecker! Nur: mit ganz, ganz vielen Knochen. Bei genauer Betrachtung stelle ich fest: das sind zwei komplette Vögel, kein Huhn, ich vermute Täubchen; mühsam zu Essen, aber es lohnt. Brasa heißt einfach gebacken, stelle ich nachher fest, das hilft nicht zur Identifizierung.

Die Tracks:
Andorra
Castelnau
Carcasonne
L'Isle Jourdain
Comminges
Barbastro

geschrieben am 25. und 28. Mai 2014



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