Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Kalabrien - Europas Armenhaus

   J. Schäfer          

Montag, 24. April

Es war einfach zu kalt in den vergangenen Tagen! Wer's nicht glaubt: hier ist der Beweis, - 60°, das gibts nicht einmal in Finnland; dort habe ich 2006 im Norden die Tafel gesehen, die stolz auf 51,5º verweist; Kinderkram gegenüber Süditalien. Und an der Seriosität von Banken wird ja wohl keiner zweifeln …


Meinen ersten Fund heute verdanke ich dem Zufall: ein Wegweiser am Straßenrand weist hin auf das dereinst Philippus von Agyrion geweihte Kloster nahe Cinquefrondi, erreichbar auf einer schmalen Bergstraße. Antonius von Gerace war dort Mönch. Außer dem Bildstock für Philippus gibt es aber keine Reste mehr.

Die Kirche in Galatro ist keine Sehenswürdigkeit. Ich suche das Elias dem Jüngeren geweihte Kloster, das hier irgendwo in den Bergen sein muss; Barlaam von Kalabrien war dort Mönch, Conon von Naso wurde dort verehrt. Dass es - beachtliche - Reste des Elias-Klosters gibt, weiß ich, es gibt im Internet Fotos und Beschreibungen, aber keine genaue Ortsangabe. Ich hatte deshalb gehofft, im Ort einen Hinweis zu finden - Fehlanzeige. Die Besitzerin der Bar gegenüber der Kirche weiß nichts, die zwei Gäste, ältere Männer, auch nicht. Als ein weiterer kommt, kann er mir die Richtung zeigen und erklärt, dass man zum Hinkommen ein Allradfahrzeug braucht. Aber die anderen drei: Heimatkunde - nie gehört!

Ich fahre in die Richtung, schon im Ort gibt es doch Wegweiser, am Beginn des Feldweges tatsächlich die Schilder: nur mit 4 x 4 und: 30% Steigung; das schafft meine Kiste tatsächlich nicht auf Schotter.

Im ihr geweihten Dom in Polistena wird Marina von Bithynien als Patronin des Ortes verehrt.

Es geht nun immer am Westhang des Aspomonte entlang in eindrücklicher Landschaft, aber ein elendes Gekurve auf schmalen Straßen in oft fragwürdigem Zustand - immerhin aber etwas besser als oft auf Sizilien.

Die Kirche von Santa Cristina am Aspromonte, wo sich Elias der Jüngere einige Zeit aufhielt …

… birgt diese Maria.

Gegenüber: ein Haus mit diesem verspieltem Fries.

Über Sinopoli, wo Philaret einige Zeit lebte und wo es 1636 eine Marienerscheinungen gab, komme ich auf den Berg Aulinas, den heute nach dem Gründer des dortigen Klosters, Elias dem Jüngeren, benannten Monte Sant'Elia bei Palmi; dort lebten Elias Speleota und Philaret als Mönche.

Der Monte Sant'Elia ist heute ein Wallfahrtsort mit herrlichem Blick auf die Küste.

In Seminara wurde Barlaam von Kalabrien geboren. Eine Reliquie von Philaret wird in der Basilika della Madonna dei Poveri in Seminara verehrt.

In Seminara auch bespielhaft: kalabrische Zustände; mir geht es zunehmend auf den Geist …

Im archäologischen Gelände von Taureana steht die Fantinus, geweihte, restaurierte Kirche. Ich habe richtig Glück: an der Kirche war eine junge Frau zugange, das Tor war offen; auf die Frage, ob ich reinkommen dürfe, kam ein freudiges Si - und dann eine sehr kompetente und ausführliche Führung in gutem Englisch. Sie ist eine der Freiwilligen, die die Kirche gerettet und für ihre Restaurierung gesorgt haben - die Ruine sollte eine Disco werden! Dann wurden 2006 bis 2008 auch die völlig verschüttete Unterkirche und der Friedhof um die Kirche ausgegraben. Spürbar ist, wie die junge Frau brennt für ihr Projekt! Das ist diese Spreizung in Kalabrien - wie auch auf Sizilien: die für deutschen Ordnungssinn schwer verstehbare Schlamperei - Gleichgültigkeit gegenüber öffentlichen Belangen, geboren aus der ständigen Erfahrung, dass die da oben ja auch nichts für die Menschen tun - und andererseits die Offenheit, Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen.
Täuschen wir uns nicht: auch in Deutschland sind wir langsam auf dem Weg zu solchen Verhältnissen, die Spaltung der Gesellschaft geht weiter voran, keiner stemmt sich dagegen. Auch die Gewerkschaften nicht: da werden grandiose Tarifabschlüsse von vier Prozent Lohn- und Gehaltszuwachs gefeiert und nur am Rande die Laufzeit von zwei Jahren erwähnt; da die jährliche Preissteigerung de facto bei zwei Prozent liegt, ist der große Erfolg also lediglich, reale Einkommenseinbußen verhindert zu haben; die Dividenden der Aktienbesitzer aber sind im vergangenen Jahr um durchschnittlich 9% gestiegen, die Einkommen der DAX-Vorstände in derselben Größenordnung. Die IG Metall - dereinst gewerkschaftliche Speerspitze - befürwortet die neue Betriebsrente, die die Privatisierung der Rente im Interesse der Versicherungskonzerne vorantreibt, aber im Unterschied zur Riester-Rente noch nicht einmal die eingezahlten Beiträge garantiert. Und jetzt hat die IG Metall mit den Arbeitgebern vereinbart, dass die Leiharbeit tarifvertraglich auf vier Jahre verlängert werden kann - im Gesetz waren noch 1½ vorgesehen. Marine le Pen, Donald Trump, Brexit, AfD - die Warnzeichen sind deutlich, geändert wird an der neoliberlaen Politik nichts.
Fantius und Deodata waren Fantinus' Eltern, Lukas von Carbone wurde hier geboren.

Die Unterkirche der Kirche San Fantino

… mit Resten eines Freskos.
Unweit ist übrigens in Gioia Tauro der größte Containerhafen Italiens und einer der größten Europas - mitten im Nichts, ein typisches Projekt zur Förderung des Mezzogiorno. Logische Folge: die Polizei sagt, dass 80% des aus Kolumbien kommenden Kokains nach Europa über diesen Hafen läuft und er Umschlagplatz für illegalen Waffenhandel sei. Eine Untersuchungskommission des italienischen Parlaments kam zum Ergebnis, dass die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia, den Hafen seit Jahrzehnten infiltriert hat.

Dienstag, 25. April

Nach einer Nacht an der Autobahnraststätte Rosarno komme ich nach Reggio di Calabria - und ins Verkehrschaos: eine Hauptstraße ist gesperrt wegen eines Volkslaufes: 12,5 km - der Schnellste, aus Mailand angereist (!) - brauchte 41:03, der langsamste Mann 1h 30:33 - eine Sekunde schneller als die langsamste Frau.
Die Kirche Sta Maria dei Greci lässt sich wieder mal kaum fotografieren; wie sich herausstellt, besuche ich sie auch vergebens.

Die dem Stadtpatron Georg geweihte Kirche San Giorgio al Corso

… erinnert im Vorhof des angeschlossenen Klosters an die beim schrecklichen Erdbeben von 1908 gestorbenen KlerikerEin Kleriker ist in der => orthodoxen, katholischen, anglikanischen und altkatholischen Kirche ein geweihter Amtsträger, der eine der drei Stufen des Weihesakraments - Diakon, Priester oder Bischof - empfangen hat. Im Unterschied zu den Klerikern bezeichnet man die anderen Gläubigen als Laien. Angehörige von Ordensgemeinschaften gelten, wenn sie nicht zu Priestern geweiht sind, als Laien und in der Orthodoxie als eigener geistlicher Stand. In den protestantischen Kirchen gibt es keine Unterscheidung von Klerus und Laien.. Insgesamt starben in der Stadt mit damals etwa 70.000 Einwohnern über 800 Menschen, davon 600 Soldaten.

Die Hauptstraße der Altstadt ist Fußgängerzone, noch in ziemlicher Ruhe. Ist heute Feiertag? Aber warum, Ostern ist vorüber, der 1. Mai noch weit! Abends, mit Internet, lerne ich: es ist der Tag der Befreiung Italiens vom Faschismus und den Deutschen, denn am 25. April 1945 floh Diktator Benito Mussolini mit seiner Geliebten vor den Alliierten aus Salò, dies gilt als Ende der faschistischen Herrschaft in Italien; Mussolini wurde dann gefangen genommen und hingerichtet. Ebenfalls am 25. April verkündete das nationale Befreiungskomitee über Radio den Erfolg des Widerstandes, das Datum steht deshalb auch stellvertretend für den ganzen Widerstandsprozess.

Die Uferpromenade wartet noch auf die Volksläufer; drüben ist Sizilien.

Historische Gebäude gibt es in der 1908 zerstörten Stadt praktisch nicht; immerhin: das Finanzamt.

Die Kathedrale, 1928 wieder geweiht. Stephanus von Nicäa gilt als der erste Bischof der Stadt, den demnach Paulus einsetzte; Gaetano Catanoso war hier tätig.

Paulus war nach der Apostelgeschichte (28, 13) für eine Nacht in der Stadt. Dabei brachte er der örtlichen Überlieferung zufolge den Diana-Tempel - ihr Fest wurde gerade gefeiert - zum Einsturz, predigte dann auf dem Fragment dieser Säule des Tempels und christianisierte so die Stadt. Fantastisch!

prächtig: die Sakramentskapelle

eklezistisch: die Kanzel

repräsentativ: der Palast der Bezirksregierung

An der Kirche Santa Maria della Candelora in Reggio wirkte Gaetano Catanoso als junger Pfarrer.

Im damaligen Kloster der Kirche Sta Lucia lebten zeitweise Arsenius von Armo, Elias Speleota und Lukas von Demenna.

Ich suche das Kapuzinerkloster, weil Angelo d'Acri hier weilte. Ich weiß: es ist am Ende der Via Eremo Botte - kein gutes Viertel, aber mit Blick auf Sizilien. Ein Haus steht mitten in der Straße und vereitelt die Durchfahrt, ich gehe zu Fuß weiter steil hoch - und finde nichts. Inzwischen weiß ich: mein Navi verzeichnet die Straße falsch, es ist tatsächlich ein ganzes Bündel von Straßen mit diesem Namen. Wieder einmal: keine 100 Meter ist auch daneben.

Vor dem Santuario Volto Santo und San Gaetano Catanoso steht die Statue des Gründers einer Schwesternschaft, Gaetano Catanoso.

Um die Ecke ist das Mutterhaus.

Um zu verstehen, warum diese caritativ Tätigen verehrt werden und Heilige sind, muss man sehen, dass direkt gegenüber diese sichtlich bewohnten (!) Häuser stehen.

In einem Neubauviertel am Stadtrand - offenbar sozialer Brennpunkt - wurde Gaetano Catanoso diese Kirche geweiht. Direkt daneben: ein Bürohaus, Tempel des Kapitalismus.

Gegenüber dem Priesterseminar, an dem Gaetano Catanoso ausgebildet wurde und später Spiritual war, sieht es so aus.

Dann geht es in die Berge, mit Blick auf Reggio, den Stretto und Sizilien.

In einer Höhle bei Armo in den Bergen lebten Arsenius von Armo und Elias Speleota als Einsiedler, Elias der Jüngere besuchte sie. An der Höhle ist heute ein Pfadfinderheim, es ist dort viel Betrieb, offenbar eine Freizeit.

Bei der Weiterfahrt wieder der Blick auf Reggio und Sizilien

… und auf bizarre Berglandschaft.

In den Bergen nahe Fossato Ionico lag das von Elias dem Jüngeren gegründete Basilianerkloster, in dem auch Elias Speleota einige Zeit lebte. Die Suche nach dessen Ruinen ergibt wieder eine lange Fahrt auf engsten Bergstraßen, Scheitern an der Steigung eines Feldweges, Irrfahrt durch die engsten Gassen des Ortes - das volle Programm.

Das Rathaus des Ortes zeigt: es ist tiefste Provinz.

In diesem Haus in Chorio wurde Gaetano Catanoso geboren, es ist heute Gedenkstätte.

Auch dieser Ort bietet keine Reichtümer …

… aber ein nettes Mosaik an der Paschalis Baylon geweihten Kirche.
Ein guter Übernachtungsplatz ist das Kommerzzentrum in Siderno - die italienische, auch französische und spanische Bezeichnung ist treffender als die verharmlosende deutsche Einkaufszentrum, die eher und völlig unzutreffend nach Tante Emma klingt. Dank McDonalds gibt es gutes Internet und ich erfahre so, welcher Feiertag heute ist. Dennoch ist natürlich geöffnet, auch am Abend ist hier noch die Hölle los. Neben mir übernachten fliegende Händler mit Wohnmobilen.

Tracks:
Rosarno
Locri

Logbuch Reiselogbuch - 2017-1-7

geschrieben am 27., 28. und 29. April 2017


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