Dienstag, 26. März bis Donnerstag, 28. März
Zum Abschied gab es nach zwei Tagen Arbeit - auch den Einbau meiner Kiste, der sich auf den Bergstraßen wieder verschoben hatte, musste ich richten - am Strand des Campingplatzes Elisabeth noch ein herrliches Abendrot mit Blick auf Réthymno.
Und dann gings am Donnerstag wieder Richtung Süden, zunächst zum Kloster
Asomáton
, dem Kloster der
Körperlosen
, wo Methodios von Lampi
Abt war und schließlich auch Bischof. Das Wetter war schlecht, starker Dauerregen vermiest die Stimmung, deshalb nur
schnell ein Foto gemacht vom Katholikon des Klosters.
Im nahen Apostoli wurden - angeblich - Theodoulos von Kreta und seine Gefährten gefangen genommen. Ich finde das große Denkmal aus dem Freiheitskampf des 19. Jahrhunderts, gekennzeichnet vom Regen. Die Pfarrkirche des Ortes ist wie so viele hier Georg, dem Bauernpatron geweiht.
Das kleine Amári hat dem Hochtal den Namen gegeben.
Und dann ist wieder einmal eine Straße wegen Erdrutsch ganz gesperrt, deshalb komme ich auf dem Umweg noch einmal zum Kloster Asomáton. Die Irrfahrt auch ihr Gutes: Ich kann bei nur noch Nieselregen jetzt besser fotografieren - auch die zerfallenden Gebäude des ehemaligen Klosters, das nach seiner Aufgabe im 20. Jahrhundert noch Landwirtschaftsschule war.
Mein Sohn Tobi, der gerne lost places
besucht und fotografiert, hätte seine Freude gehabt.
In Vizári wurde Methodios von Lampi geboren. Ich lege etwas vorgezogenen meinen Mittagsschlaf ein - fotografieren macht bei diesem Regen keinen Sinn - und tatsächlich, danach ist er deutlich weniger geworden - was die Kirche nicht aufhübscht.
Auf der Weiterfahrt geht es auf schmalen Sträßchen steil auf und ab - und eröffnet Ausblicke auf die großartige Landschaft.
Im Kloster Kaloidena, hoch in den Bergen
gelegen, residierte der Abt, der Methodios
von Lampi ans Messer lieferte
.
Von dort: wieder tolle Aussicht - wäre besseres Wetter, könnte man die Schneeberge des Ida-Gebirges statt der Wolken sehen.
Diese Kirche ist offen.
Und wenn man keinen Turm hat …
Kurz vor Gerakari liegt das Matthäus-Grab
,
in dem Matthäus von Gerakari bestattet
ist.
Gerakari - hier die neue Pfarrkirche - wurde
als Vergeltungsaktion durch die Deutsche Wehrmacht am 22. August 1944 komplett zerstört, die 177 Häuser des Dorfes
niedergebrannt, alle greifbaren 36 Männer erschossen. Tatsächlich sieht man im ganzen Dorf kein einziges älteres Gebäude.
Der Pfarrerssohn Heinrich Kreipe war Generalmajor der Wehrmacht und seit Februar 1944 Kommandeur auf
Kreta. Er wurde in einer spektakulären Aktion von zwei Männern des
britischen Geheimdienstes auf der Heimfahrt von seinem Dienstsitz in seine Wohnung am 26. April 1944 entführt und dann
zu Fuß und streckenweise mit Maultier über das Ida-Gebirge in den Süden der Insel verbracht, von einem britischen Motorboot
abgeholt und nach Kairo gebracht. Suchaktionen
der deutschen Besatzungstruppen zwangen zu ungewollten Umwegen und Pausen, der Marsch durch das in Nord-Süd-Richtung sich ja
nur 50 km ausdehende Kreta dauerte deshalb bis zum 15. Mai. Um die kretische Bevölkerung vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen, wurde ein Bekennugsschreiben der Engländer
hinterlassen, dennoch machte die Wehrmacht die Kreter mitverantwortlich; sechs Dörfer wurden als Vergeltungsaktion
geplündert und zerstört, 176 Menschen ermordet.
Eigentlich hatte Kneipes Vorgänger, General Friedrich-Wilhelm Müller entführt werden sollen, er war für mehrere
Kriegsverbrechen der Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung auf Kreta verantwortlich, war er allerdings überraschend abberufen
und durch Kreipe ersetzt worden. Nach Kreipes Entführung wurde Müller wieder als Kommandanten der Festung Kreta
zurückbeordert und setzte sein brutales Vorgehen fort. Er wurde wegen seiner Kriegsverbrechen 1947 in Griechenland verurteilt
und hingerichtet. Kneipe lebte nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft zurückgezogen in Deutschland; im Mai
1972 traf er sich in Athen für eine Fernsehsendung
mit seinen früheren Entführern.
Meine letzte Station - jetzt wieder mit kräftigem Regen - wird heute Fratí, wo vielleicht Nikolaus von Kourtalíoti geboren wurde und starb.
Eigentlich wollte ich nun weiterfahren ans Kloster
Preveli und dort übernachten, aber schon bald
war die Straße gesperrt: sie geht durch die
Kourtalíoti-Schlucht, was mir aber vorher nicht
bewusst war, denn von deren - als monatelang angekündigter - Sperrung wegen der Unwetterschäden wusste ich eigentlich: Radio
Kreta, ein von Deutschen in Paleochora betriebener
Sender, hatte dieses Bild von der
zerstörten Straße gezeigt.
Aus meinem Navi kann ich keine Ausweichstrecke erkennen. Zudem weiß ich, weil ich nach dem Mittagsschlaf in
Vizári den Wetterbericht angeschaut hatte - das
kann man per Interet, noch das kleinste Dorf hat Glasfaser-Anschluss und oft offenes WLAN -, dass Morgen wieder Sturm kommen
wird. Da ich gesehen hatte, dass die Straße nach Agia Galini gut ausgebaut ist, brause ich dorthin auf den
Campingplatz No Problem
- Namen gibt's!
- und komme gerade noch bei Einbruch der Dunkelheit an.
Freitag, 29. März, bis Sonntag, 31. März
Der Campingplatz ist tatsächlich ganz nett,
no problem
- abgesehen von teils schlechter, manchmal ausfallender Internet-Verbindiung -, aber schon die Nacht bringt
heftigen Regen und der Freitag den angekündigten Sturm - nicht Orkan wie die beiden letzten Male, aber man kann sich
wieder kaum auf den Beinen halten. Kalt ist es dazu: 11° am Nachmittag, das müsste nicht sein. Also schreibe ich in der
geheizten Kiste.
Am Samstag stehe ich im Hafen mit Blick auf den Ort, der sich steil den Berg hinaufzieht. Es gibt den Ort erst seit 1884,
als der Naturhafen Bedeutung für die Verschiffung von Holz und Olivenöl bekam. Jetzt ist er wie ausgestorben, die meisten
Geschäfte und Tavernen sind zu, einige Bauruinen prägen das Ortsbild - kein Vergleich mit dem stilvollen und lebendigen
Paleochora, wohl auch, weil es hier offenbar
kaum Residenten gibt.
In antiker Zeit war der Ort besiedelt und nannte sich Soulia, es gab einen Artemis-Tempel. Erzählt wird auch, dass
sich hier der Flug des Ikarus
ereignete: Der von König Minos gefangen gehaltene Daedalus und sein Sohn Ikarus flohen,
nachdem sie sich Wachsflügel gebastelt hatten; vor dem Absturz des leichtsinnigen Ikarus machten sie demnach hier Rast
und flogen dann weiter, weit weg von Kreta. Normalerweise ist
die Legende mit der 600 km nördlich gelegenen Insel Ikaria
verbunden.
Auch der Regenbogen kann nicht darüber hinwegtäuschen: der Sturm ist grausam und für 9° am Nachmittag bin ich eigentlich nicht 2500 km in den Süden gefahren .
Am Sonntag gehe ich einige 100 Meter, etwas Bewegung tut Not, aber man kann sich kaum auf den Beinen halten, die Böen
sind heftigst, der kalte Wind tut mir an den Zähnen und in den Ohren weh, die Augen tränen. An Autofahren denke ich
nicht, ich habe keine Lust, mich samt der Kiste von einer Böe in eine Schlucht wehen zu lassen. Der alte Ölbaum ist das
aber wohl gewohnt …
Aber ich sitze jetzt drei Tage in der Kälte und kann die Kiste kaum verlassen - deswegen bin ich nicht hier!
Montag, 1. April
Für heute ist ein Nachlassen des Sturmes angesagt; also mach ich mich endlich auf den Weg, zuerst an die Friedhofskirche hier im Ort, die von Kaiserin (Aelia) Eudokia gegründet worden sei und die diese Christus-Ikone enthält.
Ich fahre verhalten, meine Kiste ist seitenwindempfinlich - aber es geht. Die gesperrte Kourtalíoti-Schlucht muss ich nun in weitem Bogen umfahren und komme so durch die ebenfalls eindrückliche Kotsifou-Schlucht.
In Asómatos wurde möglicherweise Nikolaus von Kourtalíoti geboren.
Steil geht es zu Fuß auf einer schmalen und mit vielen losen Steinen verzierten
Treppe hinunter in die
Kourtalíoti-Schlucht
Ich lande aber nicht an der gesuchten Kapelle von
Nikolaus von Kourtalíoti, sondern
ganz unten am Grund der Schlucht an der Wasserentnahmestelle für das Dorf. Solche schwarzen Schläuche liegen hier überall,
neben den Straßen und quer durch die Landschaft, man muss die Wasserleitungen ja in einem frostfreien Land nicht in den
Boden vergraben.
Schön zu sehen im Hintergrund: die Quellen, die Nikolaus der Überlieferung zufolge entspringen ließ und die das ganze
Jahr über Wasser geben.
Also steige ich wieder hinauf, vorbei an der
unteren Kapelle, die leider verschlossen ist,
zur oberen Kapelle, in der ich dann doch einige
Ikonen fotografieren kann. Obwohl - genauer wohl: weil -
das Betrachten von Ikonen ja ein ganz wesentliches Merkmal
orthodoxer Frömmigkeit ist, ist in den Kirchen
das Fotografieren immer strengstens verboten.
Irrweg war nicht nur die Wanderung zu den Kapellen, auch das Verfassen der
Nikolaus-Biografie stellt sich als
außerordentlich schwierig dar dank eines Konvoluts der Überlieferungen.
Auf dem Weg zum Kloster Preveli komme ich vorbei an der venezianischen Brücke am Ausgang der Kourtalíoti-Schlucht. Sie hat die Sturzfluten von neulich überstanden - damals hat man noch Qualität gebaut - aber ihre ganze Umgebung wurde offenbar zerstört und wird jetzt mit schweren Maschinen wieder hergerichtet.
Kurz vor dem Kloster: der Gedenkpark
,
eingeweiht 60 Jahre nach der Schlacht um Kreta
von 1941. Das Kloster
Preveli war schon im 19. Jahrhundert ein Zentrum
des Widerstandes gegen die Türken, 1821 stellte es die erste bewaffnete Widerstandsgruppe. Nach der Besatzung
Kretas durch die Deutschen 1941 bot es über 5000 Fliehenden der
britischen Truppen Unterkunft, bis sie am darunterliegenden Strand von U-Booten abgeholt und nach Ägypen evakuiert wurden.
Bei aller Sympathie: der waffentragende Mönch irritiert mich.
Auch im Kloster selbst gibt es ein großes
Denkmal mit einem Brunnen, 1991 gestiftet zum 50. Jubiläum seiner Rettung vor den grausamen Deutschen
von einem
australischen Soldaten; es erinnert an den Widerstand von 1821 und den von 1941 und die herausragende Rolle des Klosters
in beiden Fällen.
Katholikon des Klosters Preveli, in dem Methodios von Nivritos möglicherweise Mönch wurde.
Auf dem Rückweg komme ich an dem verlassenen Kloster vorbei, das früher zum Kloster Preveli gehört und Anfang des 19. Jahrhunderts von den Türken zerstört wurde. In den 1970/1980-er Jahren wohnten Hippies in den Ruinen, dann wurden sie vertrieben und der Komplex eingezäunt.
Weiter geht es durch die immer wieder faszinierende Bergwelt, hier des Kedros-Gebirges …
… nach Kerames - wieder fast an der Südküste, aber die Querverbindungen gehen immer über die Berge im Norden. Hier vertrieb Parthenios der Überlieferung zufolge Heuschrecken.
Für Touristen ist Kerames zu weit vom Meer entfernt, aber der Blick lohnt die zeitraubende Anfahrt.
Aus Melampes stammten Angelis, Manuel, Georgios und Nikolaos, die durch die Türken starben un deren Verehrung wir schon in Rethymno begegneten; ihnen ist auch im Heimatort eine Kirche geweiht und von der aus hat man einen herrlichen Blick auf das Idi-Gebirge und den - heute erstmals nach vielen Tagen - fast wolkenfreien Psiloritis, den mit 2456 m höchsten Berg Kretas. Irrfahrten und Irrwege - aber es lohnt sich immer wieder!
Tracks
Agia Galini
Preveli
Logbuch Reiselogbuch-2019-1-4
geschrieben am 29. März, 2. und 5 April 2019