Dienstag, 2. April bis Mittwoch, 3. April
Nachdem ich am Dienstag eine Auszeit einlegen musste mit Halsweh und Ohrenschmerzen - das habe ich sonst nie - und etwas Fieber, offenbar dem Sturm und der Kälte als Tribut gezollt, nahm ich mir für Mittwoch eine leichte Aufgabe vor: auf der Hauptstraße nach Gortyna fahren, der frührenen Hauptstadt Kretas. Dort stehen Reste der Titus-Basilika, benannt nach Titus, dem ersten Bischof, 824 von den Sarazenen zerstört. Sie ist das besterhaltene Bauwerk der ab 1884 von italienischen Archäologen ausgegrabenen Stadt, aber nicht die von Titus gegründete Kirche - und wegen Bauarbeiten auch nicht zugänglich.
Für das Gelände zahlt man Eintritt; neben der unzugänglichen
Titus-Basilika liegen darin im wesentlichen nur
noch die Ruinen des Odeion, berühmt für Die Große Inschrift von Gortyna
aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., die als
ältester Gesetzescodex Europas gilt und alle für das Gemeinwesen wichtigen Bestimmungen enthält, z. B. ein erstaunlich
liberales Ehe- und Familienrecht.
Hinter dem Odeion und schon wieder außerhalb des Geländes sieht man links am Berg das Amphitheater, in dem Theodulus von Kreta und Gefährten starben.
Und noch im Gelände: die immergrüne Platane, unter der Zeus mit der schönen Europa Minos gezeugt habe, den König von Kreta und Begründer der minoischen Kultur. Die Sparmaßnahmen scheinen inzwischen bis zu den mythologischen Bäumen durchzuschlagen …
Die ältere Basilika von Gortyna und damit wohl die tatsächliche Bischofskirche ist die an ihren Grundmauern erkennbare Basilika außerhalb des eigentlichen Geländes. Hier also sind die Bischöfe Andreas von Kreta, Cyrill von Gortyna, Eumenius von Gortyna, Eutychios, Gerasimos IV. von Kreta, Petrus der Jüngere und Philippus von Gortyna anzusiedeln und eben auch Titus. Und hier wurde wohl Kosmas der Einsiedler begraben.
Im vorderen Teil des Kirchenschiffs wird die Basilika von der Provinzstraße überdeckt, auf der anderen Straßenseite sieht
man die Apsis wieder freigelegt.
Nach der Eroberung Kretas durch die Araber 824 wurde Gortyna
bedeutungslos und verlassen. Später wurde der nahe, nun nach den Märtyrern
Theodulus und seinen Gefährten
Agii Deka
, heilige zehn
Märtyrer, genannte Ort besiedelt.
Vorbei an der Kirche in Agii Deka komme ich zu der Kapelle, die man über den 1981 gefundenen, angeblichen Gräbern von Theodulus und seinen Gefährten erbaut hat.
Darin: die Ikone mit dem Martyrium der zehn Heiligen …
… und das Gesamtbild, typisch für die vielen kleinen Kirchen: mit Ikonostase, hinter die nur der Priester gehen darf, mit weiteren Ikonen und einem Kerzenständer. Weihwasser gibt es nicht, man küsst die Ikonen und zündet eine Kerze an, die dafür gegebene Spende ist ein wichtiges Finanzierungsmittel für die Kirche. Schaut man die Kirchen im Land an, dann sieht man: so gut wie sie sind sonst fast keine Gebäude in Schuss, die Kirche hat Geld, auch wenn - EU-Auflage - der Staat jetzt nur noch die Häfte der Priestergehälter zahlt. Aber sie bleibt der weitaus größte Grundbesitzer im Land und noch immer steuerfrei; ein normaler Mensch zahlt hier 24% MWSt auf alles, auch auf Lebensmittel, die deshalb im Laden keineswegs preiswert sind, sondern oft über deutschen Niveau.
Auf dem Rückweg durch den Ort.
Nach einem Fußmarsch durch die in der Gegend verteilten Ausgrabungen von Gortyna, besonders zum
Prätoritum, wo
Cyrill von Gortyna,
Theodulus von Kreta und Gefährten sowie
Vincentius und Gefährten gerichtet
wurden, komme ich auch noch ins Dorf Mitropoli,
wo - inmutten der fruchtbaren, deshalb vergleichsweise reichen
Messara-Ebene die Menschen so leben. Angesichts solchen
Lebensstil wird es Zeit, dass wir den Griechen endlich Sparen beibringen …
In dieser Welt sind die 26 fleißigsten
Menschen genauso reich wie 3,8 Milliarden faulsten
- die Hälfte
der Weltbevölkerung - zusammen. Diese 26 Menschen sind so fleißig, dass jeder von ihnen pro Tag 146 Millionen mal soviel
leistet wie ein durchschnittlicher Mensch aus der fauleren Hälfte der Weltbevölkerung: wenn ein Fauler 1 kg trägt,
schleppt ein Fleißiger 146 Tonnen
In Deutschland verdiente der Postminister früher rund 15-mal so viel wie ein Briefträger, 2017 bekam Postchef Frank
Appel mehr als 232-mal so viel wie ein durchschnittlicher Beschäftigter des von ihm geführten Konzerns.
Das reichste Prozent der Menschen in Deutschland verfügt über genausoviel Vermögen wie die ärmsten 87 Prozent
zusammen. 2017 konnten die deutschen Multimilliardäre ihren Reichtum um 20 Prozent steigern. 2005 hatten die
Hochvermögenden in Deutschland Bargeld, Einlagen, Wertpapiere und Forderungen an Versicherungen im Wert von rund 4
Billionen €, 2017 waren es schon mehr als 6 Billionen € – das Bruttoinlandsprodukt umfasste 2018 lediglich 3,3 Billionen €.
Donnerstag, 4. April
Während ich gestern in der Antike und inmitten der Messara-Ebene unterwegs war, geht es heute in die Berge an deren Nordrand.
Erstes Ziel ist das Kloster Varsamonero bei Vorizia, wo es eine Phanourios-Ikone gibt. Das früher in hoher kultureller Blüte stehende, im 18. Jahrhundert aufgegebene Kloster ist mit einem dichten Zaun umgeben und leider unzugänglich.
Im Kloster Vrontisi bei Vorizia war Gerasimos IV. von Kreta Mönch; der Brunnen vor dem Kloster aus venezinischer Zeit verlor leider in der Zeit der türkischen Besatzung die Köpfe von Adam und Eva.
Das Katholikon des Klosters Vrontisi, das ein
Zentrum der Ikonenschreiberei war; El Greco war hier einige Zeit als Lehrling
zu Gast.
Das Nikolaus-Kloster bei Zaros ist eigentlich
auch ein altes, traditionreiches Kloster. Zwar hat es nicht
Nikolaus von Kourtalíoti gegründet,
aber möglicherweise wurde er hier getötet. Vor die alte Klosteranlage, die von Nonnen bewohnt ist und die 1994 bei einem
großen Waldbrand teilweise zerstört wurde, hat man nun diese
neue Kirche gesetzt, die einen schlimmen
Missklang
darstellt und die Historizität des Klosters und die natürliche Umgebung traurig verändert
, so die
ausgezeichnete Webseite
cretanbeaches.com,
die weit über Strände hinaus fundierte und detaillierte Informationen bietet und sicher die beste Informationsquelle über
Kreta im Internet ist.
Das Kloster selbst macht auch nicht viel her.
Oberhalb liegt die Einsiedelei, in der der wohl
mit Nikolaus von Kourtalíoti
identische Euthymios und Methodios von
Nivritos lebten. Der Weg vom Kloster nach oben ist leider nicht begehbar, weil bei den Unwettern der Bach aus der
Schlucht unüberwindliche Schuttmassen angehäuft hat.
Nun hatte ich eigentlich schon aufgegeben, dorthin zu kommen, sehe dann aber bei der Weiterfahrt am östlichen
Ortseingang von Nivritos einen großen Wegweiser
zur Einsiedelei. Also doch! Die Straße durch
den Ort ist sehr schmal - und dann plötzlich zu schmal für mich; wenden nicht möglich, also rückwärts in Millimeterarbeit
zurück. Meine Kupplung mag das gar nicht - schon beim misslungenen Versuch, die
Eutychios-Kirche bei Chromonastri zu erreichen,
hatte sie unter großer Last gerupft wie verrückt. Ich befürchte, ich brauche eine Neue.
In der Apostelkirche in Ano Moulia wurden die örtlichen Märtyrer Apostolos, Demetrios und Zacharias bestattet. Oberhalb des Ortes liegt die neue, ihnen geweihte Märtyrerkirche.
Als Märtyrer starben in Valis der Priester Isidor und seine zwei Kinder; nachdem man 1953 aufgrund einer Offenbarung ihre Gebeine gefunden hatte, errichtete man ihnen dieses Grab an der Demetrius-Kirche …
… und die ihnen geweihte neue Isidor-Kirche.
Freitag, 5. April, bis Sonntag, 7. April
Ab Freitag kam wieder starker Regen - das Wetter will hier einfach nicht. Wann kann ich einmal den Pullover aus-, wann
Sandalen anziehen? Eine Frucht des Regens, man muss in der Kiste sitzen, aber ich kann ja nicht nur schreiben und habe
nachgerechnet: einschließlich der Vorarbeit im Januar zuhause habe ich nun 178 neue Biografien und acht Updates von
griechischen Heiligen verfasst.
Außerdem ist alles relativ: der
Newsletter von Radio Vatican meldete:
Ein schwerer Sturm hat im Süden von Neapel
in den letzten Tagen 35 Todesopfer gefordert; etwa 600 Menschen wurden verletzt. Fernsehbilder zeigen Schäden wie nach
einem Erdbeben: zerstörte Häuser, umgekippte Bäume.
So gesehen war's hier glimpflich. Aber inzwischen quaken hier
Frösche. Frösche! auf Kreta! im April!
Neben dem Campingplatz weiden jetzt einige Pferde - am 1. April hat ja die Tourismus-Saison offiziell
begonnen und die Pferde stehen bereit, Kinder reiten zu lassen. Der Esel (Maultier?) blickt wohl nicht nur wegen des
Wetters traurig drein, mir erscheinen auch die Haltungsbedingungen fragwürdig. Tatsächlich kommen jetzt vereinzelt (!)
einige Touristen - und wundern sich über das Wetter. Wenn man nur einige Tage Urlaub hat, ist das echt schlimm. Aber noch
immer ist der Ort wie ausgestorben, fast alle Lokale und viele Läden zu, ein eher trostloses Bild.
Montag, 8. April bis Donnerstag, 11. April
Nachdem auch der Montag mit Trübnis, Starkregen und Gewitter immer noch kein Reise- und Fotografiertag war, wurde es
Dienstag für den Abschied vom Camping No
Problem
in Agia Galini. Diesmal geing es in die Berge südlich der Messara-Ebene, zuerst ins Kloster
Apezanón bei Mires, wo
Meletios I. von Alexandria Mönch
wurde.
Das Gebäude des Abtes lässt noch den einstigen Reichtum erkennen.
Das einsam in den Bergen liegende Kloster ist noch immer bewohnt.
Unterwegs fallen am Dorf Platanos die minoischen Gräber ins Auge.
Eigentlich sind es nur 6 km Luftlinie vom Kloster
Apezanón zum Kloster Hodegetria; da es im
Süden keine Querverbindungen in den Bergen gibt, führt der Weg zuerst wieder nach Norden und dann nach Süden und dauert mit
dem Auto eine Stunde; Spötter könnten mir empfehlen, zu Fuß zu gehen, das dauert nicht länger, ist aber ökologischer.
Vor dem Kloster steht das Denkmal für Ioannis Markakis, genannt Hopatero
, der Mönch
, der hier Mönch war
und den Widerstand gegen die Türken anführte - sein Bischof steckte ihn zeitweilig ins Gefängnis, um die Herrscher zu
besänftigen. 1829 griffen die Türken das Kloster an, töteten die verteidigenden Mönche und als letzten Markakis, deshalb
würdigten ihn ein kretisches Volkslied und auch der
kretische Literat Nikos Kazantzakis.
Das Katholikon des von Männern und Frauen bewohnten Klosters Hodegetria.
Die Wehrhaftigkeit zeigt sich auch von innen; der Turm dienste als Fluchtturm bei Piratenüberfällen, in ihn hatte sich auch
Hopatero
Ioannis Markakis zurückgezogen.
Etwas oberhalb steht eine neue, Johannes
dem Fremden
und == Ephraim von Nea Makri geweihte
Kirche …
… mit dieser Ikone der beiden.
Wieder tief ausgewaschen ist der Schotterweg hoch auf den Berg Araxos, wo
Eutychios und Eutychianos als Einsiedler
lebten und Johannes der Fremde
dann eine ihnen geweihte Kirche baute; meine
Kiste macht das prächtig, aber 250 m vor dem Ziel ist ein verschlossener Zaun auch für Fußgänger unüberwindlich und, da
noch vor der Bergkuppe, gibt es auch keine Sicht auf das Gelände.
Also geht's holprig wieder zurück zum Kloster
Hodegetria und von dort wieder auf Schotter gut 8 km durch ein Tal nach
Kaloi Limenes, den kleinen Ort, wo
Paulus nach Apostelgeschichte 27, 8 auf seiner Reise
nach Rom Station machte.
Auf dem Rückweg zweigt die Schotterpiste zur
Martsalo-Schlucht ab, wo in frühchristlicher Zeit
bis zu 300 Einsiedler und dann auch Parthenios
und Eumenios in Höhlen lebten. Auch eine Einsiedler Arsenios lebte dort an der
Antonius-Kirche; von ihm erlernte
Gregor Sinaites das innerliche Gebet
.
Allerdings ist schon bald Schluss: das kleine Bächlein hat beim Unwetter die Piste völlig zerstört, sie wird jetzt mit
schweren Maschinen neu aufgebaut, aber für mich gibt es kein weiteres Durchkommen.
Zurück aus den Bergen finde ich in Listaros, wo Eutychianos als Märtyrer starb, zuerst die Friedhofskirche; einschlägig wäre aber die im der Orstmitte liegende, aber hinter Gestrüpp unfotografierbare alte Kirche.
Das Dorf liegt jetzt wieder weiter im Norden, auf mittlerer Höhe der Asteroussia-Berge, die einen Riegel vor dem Meer im Süden bilden. Deutlich ist zu sehen, dass etwa die Hälfte der Häuser verlassen ist, denn auch am Südrand der fruchtbaren Messara-Ebene ist es schwer, sein Auskommen zu finden.
Über Sivas, wo
Johannes der Fremde
geboren wurde,
geht es nach Pitsídia, dem Geburtsort von
Parthenios und Eumenios, wo es an der
Kirche diesen Brunnen der lebensspendenden
Gottesmutter
gibt.
Am Ortseingang von Ágios Ioánnis sehe ich zufällig das Hinweisschild auf das Baptisterium aus dem 4./5. Jahrhundert, das im 10. Jahrhundert zur Paulus geweihten Kirche erweitert wurde. Nachdem Paulus gemäß Apostelgeschichte 27, 8f ja in Kaloi Limenes gelandet war und dort mehrere Monate verweilte, könnte er sogar tatsächlich über den Berg auch hierher in die fruchtbare Ebene gekommen sein und getauft haben.
In Ágios Ioánnis, dessen Kirche dem Charakter
des ärmlichen Dorfes entspricht, lebte Johannes
Dragatis
, der zum Märtyrer wurde.
Unweit steht die Kirche Agios Georgios
Phalandras
, die Kirche von Georg, dem Textilarbeiter
, denn die Mönche des angeschlossenen Klosters betrieben
in venezianischer Zeit Seidenraupenzucht; auch
diese Kirche hat möglicherweise Johannes
der Fremde
gegründet.
Gleich um die Ecke ist dann die Ausgrabungsstätte der minoischen Stadt
Festos. Ab April bis 20 Uhr geöffnet
-
steht so am Eingang, stimmt aber nicht, es ist noch nicht 18 Uhr. Die Gaststätte ist auch zu, aber ich habe Hunger. Die
Toilette ebenfalls, schlecht für meinen Plan, hier zu übernachten. Internet gibt's auch nicht - auch sonst habe ich in der
Gegend kein offenes gefunden -, seit Sonntag schon fehlt es mir, weil es am Schluss auch auf dem
Camping in Agia Galini nicht funktionierte. Da
ich schon fast alles erledigt habe und zum weiteren Planen Netz brauche, entschließe ich mich, noch heute in den Norden
zu fahren - es ist ja hier die Hauptverbindungsstraße gut (na ja!) ausgebaut. Festos kann mich mal feste …
Das Katholikon des Klosters Kaliviani, wo
Charalambos der
Neuerschienene
Mönch und schließlich Abt war, wurde 1927 gebaut und ist heute umgeben von den Zelen der Nonnen
und einem monumentalen Vorbau.
Das Kloster Kaliviani wird heute von Nonnen bewohnt und umfasst viele Gebäude. es unterhält ein Waisenheim, ein Altersheim, ein Zentrum für Jugendliche und Kinder, eine Schneiderschule und anderes - bemerkenswert für ein orthodoxes Kloster, denn Caritas / Diakonie ist ein in den orthodoxen Kirchen wenig ausgeprägter Arbeitszweig.
Schön ist der umgebende Einfassungsbau sicher nicht, aber wenn es der Sache dient …
Und dann brause ich also auf der Hauptstraße wieder in den Norden, etwas östlich von
Iráklio liegt im Ort Gouves der
Camping Kreta
, den dummerweise mein Navi
nicht kennt und der auch nirgendwo angeschrieben ist. Nach mehrmaligem Fragen finde ich ihn, komme gerade noch bei Anbruch
der Dunkelheit an - und bekomme sogar noch etwas zu essen. Oma kocht hier, deftig, kräftig, gut. Na also, geht doch!
Und beim Schreiben an den beiden nächsten Tage: endlich Sonne, Wärme, T-Shirt, Sandalen - das Leben kann so schön sein!
Tracks
Agii Deka
Valis gibt's nicht - das Gerät hat 'mal wieder vergessen, von selbst einzuschalten - man muss immer alles selbst
machen
Kaloi Limenes gibt's auch nicht - obwohl ich diesmal sicher eingeschaltet habe ???
geschrieben am 10. und 11. April 2019