Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Ägina - protzig, aber schön

   J. Schäfer          

Donnerstag, 23. Mai bis Samstag, 25. Mai

Zwei weitere Tage arbeite ich auf dem Campingplatz Verdelis - in der Abendsonne fällt der Blick auf die Halbinsel Methana (Mitte), von deren Hafen ich auf die Insel Ägina (links) fahren werde.
Dieser Campingplatz ist sehr einfach ausgestattet - dafür Heimat vieler Ameisen und Schnaken, die mich gerne haben -, aber auch sehr familiär durch einen äußerst redseligen 79-jährigen (!!) ehemaligen Metzger aus Heinsberg und seine Frau, der seit 14 Jahren hier das Frühjahr verbringt.


Die Fähre von Methana auf die Insel Ägina verkehrt leider nur ein Mal am Tag, samstags erst um 16 Uhr; so habe ich viel Zeit und fahre noch einmal zu den Ruinen von Troizina, die am Weg liegen; dort sehe ich die Reste des Tempels der Musen

… und des Hippolytus-Tempels aus dem 6. Jahrhundert v. Chr.

Schön ist der Blick auf Methana; die Halbinsel entstand durch viele Vulkane, die alle erloschen sind, aber es sprudelt noch heißes und schwefelhaltiges Wasser; das große einstige Heilbad ist geschlossen, auch sonst ist hier nichts los, obwohl der Ort und seine Lage eigentlich ganz nett sind.

Ganz anders auf Ägina: hier steppt der Bär entlang des Hafens, Tausende vergnügen sich in den Cafés, Bars, Tavernen; Ägina is das Naherholungsgebiet der Athener, die es sich leisten können. Etwas abseits herrscht wie immer Ruhe: die Metropolitankirche steht für Athanasia von Ägina.
Im Januar 1828 wurde auf Ägina Ioannis Kapodistrias, der erste Präsident des freien Griechenlands, vereidigt, vom 12. Januar bis zum 3. Oktober 1828 war Ägina sogar die Hauptstadt des neuen Staates, bis es dann für kurze Zeit Nafplio wurde.

Direkt am Hafen steht die Kirche Isodia Theotokou, Einführung der Gottesgebärerin in den Tempel mit einigen schönen Fresken.

Gigantisch ist im Inselinnern die Kirche, die neu gebaut wurde für das Grab von Nektarios von der Pentapolis.

An Nektarios' Sarg in der neuen Kirche drängen sich Wallfahrer aus Rumänien; auch ein Omnibus aus Bulgarien steht auf dem Parkplatz.
Für die Menschen dieser Länder - und für Russen - ist Griechenland ein attraktives Reiseziel: nah, billig und sehenswert. Für Griechenland ist das ein Problem. Die Griechenland-Zeiung meldete am 23. Mai: Touristen, die in Griechenland ihren Urlaub verbringen, geben von Jahr zu Jahr weniger Geld aus. Die Ankünfte sind jedoch drastisch gestiegen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts des Verbandes der griechischen Touristik-Unternehmen. Demnach hat 2005 ein Tourist im Durchschnitt 745,7 Euro pro Hellas-Urlaub ausgegeben; 2018 waren es nur mehr 519,6 Euro. Dies liegt vor allem an der Verminderung der Verweildauer, aber auch an der geringeren Wirtschaftskraft der jeweiligen Urlauber, die vermehrt aus dem Balkan und Osteuropa kommen. 2012 gab ein Hellas-Urlauber am Tag 71,1 Euro aus; 2018 sind es 69 Euro gewesen. Im vergangenen Jahr haben etwa 30 Millionen Touristen in Griechenland ihren Urlaub verbracht. Sie gaben 15,6 Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: Im gleichen Jahr hat Spanien 82,8 Millionen Urlauber beherbergt; dort wurden 90 Milliarden Euro ausgegeben.
Also: es gab knapp 3 Mal so viele Spanien-Urlauber, aber die ließen das Sechsfache an Geld im Land. Ich dagegen schäme mich etwas: ich leige deutlich unter dem Durchschnitt.

Wie meist bei Gigantismus ist auch diese Kirche groß, aber seelenlos.

Im Innern der Insel, unweit der Nektarios-Kirche, liegen die Reste der ab 896 wegen der Piratenüberfälle ins Inselinnere verlegten Hauptstadt, heute Paliochóra genannt. Dort habe es 800 Häuser, von denen bestenfalls Steinhaufen übrig blieben, eine 1654 auf der Bergspitze von den Venezianern errichtete Burg und 365 Kirchen gegeben - eine für jeden Tag des Jahres -, davon sind 35 in mehr oder weniger gutem Zustand erhalten. Um 1800 wurde die Stadt aufgegeben und wieder an die Küste verlegt. Eine der Kirchen von Paliochora, direkt an der Straße und Ausgangspunkt des Fußmarsches, ist diese, die Kirche Timíou Stavroú, Kirche des Heiligen Kreuzes, in der noch Gottesdienste gefeiert werden.

Ziemlich zerfallen: die Kirche Panagia von Giannouli.

In der Georgskirche, der damaligen Bischofskirche am Hauptplatz (Platz?? - ist hier am Berghang keiner!), sind Fresken erhalten, hier das eines Theodor …

… und daneben das des anderen Theodor; es sind die in der katholischen Kirche als eine Person, in der orthodoxen aber als zwei verschiedene Verehrten, Theodor „Stratelates” und Theodor Tiro.

Hier bekommt man auch ohne orthodoxe Weihe einmal Einblick in den heiligen Raum hinter der IkonenIkonostase - ich will den hier ummauerten Raum in Anführunszeichen setzen - natürlich oben gekrönt vom Pantokrator.

Und dann darf in der Georgskirche Georg nicht fehlen.

Die Georgskirche ist eine der wenigen hier komplett intakten Kirchen.

Vom Berg von Palichora aus hat man einen schönen Blick auf die Nektarios-Kirche und (rechts) das Kloster.

Weiter oben am Berg liegt die - leider verschlossene - Dionysioskirche, an der Dionysios von Zakynthos als Bischof wirkte.

Den beiden Theodor, Theodor „Stratelates” und Theodor Tiro ist diese Kirche geweiht.

Von hier oben hat man den Blick auf den im Norden Äginas gelegenen Ort Souvala und übers Meer mit dem Schiffsfriedhof nach Piräus

… und von unten den Blick auf den mit Kirchen übersäten Berg.

Zurück in Nektarios' Kloster ist dort jetzt am Samstagabend Gottesdienst im Katholikon.

Wieder drängen sich die Menschen, immer wieder auffallend: wie - im Verhältnis zu katholischen Klöstern - jung die Priester und Nonnen sind. Die orthodoxe Kirche hat sich offensichtlich ihre Volksnähe erhalten trotz der - für unsereins - unverständlichen und lange währenden Liturgie, aber sicher aufgrund ihres Verzichts auf rigide, unzeitgemäße Morallehre und wegen ihrer idenditätsstiftenden nationalen Tradition.

Sonntag, 26. Mai

Nach einer sehr ruhigen und langen Nacht in der Einsamkeit an der Kirche Timíou Stavroú auf Ägina folgt nun der letzte Sprung Richtung Athen; der Dampfer ist um die Mittagszeit voll von Städtern, die vom Wochenendausflug heimkehren.
Für mich bietet der Sonntag wie immer die Gelegenheit, Außenbezirke einer Stadt mit dem Auto zu besuchen, zuerst die Panteleimon-Kirche, an der Nikolaos Planas von Athen wirkte. Dabei wird schnell klar: ich bin in der Großstadt angekommen: nicht nur die Kirche ist verschlossen, sondern das gesamte Gelände eingezäunt und verriegelt. Zu ist auch diese, die Kirche des Johannes Kinigou, an der er ebenfalls wirkte und in der sein Sarg verehrt wird.

Nach Damaris, der von Paulus bekehrten frühen Christin, wurde eine große Straße benannt, an der diese Elija geweihte Kirche steht.

Dieses Kaisariani-Kloster hat noch Mittagsruhe; aber es ist sowieso das falsche, das richtige liegt noch weiter außerhalb.

Zurück in der Stadt gehts zum Aretaieion-Krankenhaus, in dem Nektarios von der Pentapolis starb. Gegenüber ist der nach Eleftherios Venizelos benannte Park mit seinem Denkmal, auch ein Museum gibt es dort. Venizelos, in einem Dorf nahe Chania auf Kreta geboren, war aktiv im Befreiungskampf der Insel, erreichte 1905 die Vereinigung Kretas mit Griechenland, wofür er die Widerstände des Prinzen Georg von Griechenland und Dänemark aus dem Adelshaus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg bekämpfen musste, wurde 1910 bis 1920 und 1928 bis 1932 Premierminister Griechenlands. 1917 wirkte Venizelos an der Vertreibung des Königs mit, der freilich 1920 zurückkam; er reformierte die Verwaltung, führte die Schulpflicht ein, hatte großen Anteil an der Integration der nach dem verlorenen Krieg aus der Türkei gekommenen Griechen und bemühte sich um gute Beziehungen zu allen Nachbarstaaten.

Gegenüber der ehemaligen Rizarios-Schule, an der Nektarios von der Pentapolis studierte, steht diese damals zur Schule gehörende Kirche.

Im Kloster Daphni werden der Märtyrer Euplus von Catania und der Bischof Gregor von Agrigent - beide aus der griechischen Zeit auf Sizilien - verehrt. Leider ist es verschlossen, nach zwei verheerenden Erdbeben von 1981 und 1999 wird noch immer renoviert.

Es habe schon im 1. Jahrhundert eine Kirche in Athen gegeben, damals vor den Stadttoren, nämlich an der Stelle der heutigen Lukas-Kirche, schreibt Klaus Gallas: Athen. Reclam, Stuttgart 2013 - empfehlenswert. Ich bin etwas skeptisch, frage die Mesner der offenen Kirche, aber Englisch kann sie nicht und mein Griechisch versteht sie nicht oder weiß es nicht. Als ich schon gehen will, kommt der Priester; auch er weiß es nicht, deutet aber auf das Gemeindehaus neben der Kirche, das sei very old, es steht sogar dort am Eingang: 1913! In einer erdebebengeplagten Stadt und dazu einer, die es eigentlich erst wieder seit 1834 gibt, ist auch 1913 very old - löst aber nicht mein Problem. Ich fotografiere verzweifelt im nahen Park eine Häuserruine.
Und stelle nun beim weiteren Recherchieren fest: ja, es stimmt, hier, 5 km nördlich der Akropolis, stand wohl die erste Athener Kirche.

Am Abend komme ich auf den Camping Athens, der einzige Platz in Stadtnähe, im Internet viel gescholten - zu unrecht: Baulichkeiten und Sauberkeit sind deutlich über greichischem Durchschnitt. Höllisch ist allerdings der Lärm der achtspurigen Ausfallstraße, ich stehe ganz vorne, weil der Platz gestopft voll ist: Rentner aller Nationen mit Wohnmobil auf Kulturreise.
Und spät am Abend steht dann fest: der VfB Stuttgart ist aus der 1. Bundesliga abgestiegen.
Ob VfB, Stuttgart 21, Mercedes und Porsche und Bosch: die Mischung aus Größenwahn, Ignoranz und Unfähigkeit ist schwer auszuhalten.

Montag, 27. Mai, und Dienstag, 28. Mai

Nach schlechter - lauter - Nacht studiere ich die Ergebnisse der Europawahl - na ja. Die SPD hat ihr Projekt 18 erfolgreich abgeschlossen: 15,8%. Ändern soll sich nichts, Nahles taktiert weiter, um ihren Job zu festigen. Es wird weiter nach unten gehen. Die Führung der CDU reagiert auf die Stimmverluste bei der Europawahl aufgrund des - sehenswerten! - YouTube-Videos von Rezo mit Forderungen, die Meinungsfreiheit einzuschränken: Kramp-Karrenbauer forderte Regulierungen von Meinungsäußerungen im Netz vor Wahlen. -8,4% reicht auch der CDU noch nicht.
In Griechenland hat SYRIZA kräftig verloren, wird für die Erfüllung der deutsch-europäischen Austeritätsdiktate abgestraft und landet mit 23,9% fast zehn Prozent hinter der Nea Dimokratia - der konservativen Altpartei, die zuvor den Schlamassel angerichtet hatte. Premierminister Tsipras hatte keine andere Wahl, als vorgezogene Neuwahlen anzukündigen, sie sind wohl am 30. Juni. Mit fast 40 Prozent ist die - offiziell ausgewiesene - Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie in keinem anderen EU-Land, tatsächlich dürfte sie höher sein, weil viele junge Menschen im Geschäft ihrer Eltern durchgefüttert werden, wie man allenthalebn sieht.
Das Handelsblatt schrieb im April 2019: Die Rezession vernichtete ein Viertel der Wirtschaftskraft. Eine Million Jobs ging verloren, die Arbeitslosenquote verdreifachte sich auf fast 28 Prozent. Die Einkommen fielen in den acht Krisenjahren durchschnittlich um ein Drittel, die Vermögen schrumpften sogar um 40 Prozent. 51% sind unzufrieden mit ihrem Leben, gegenüber 16% im EU-Durchschnitt. Bewahrheiten sich die gegenwärtigen Vorhersagen des IWF, wird Griechenlands Wirtschaftsleistung erst in der zweiten Hälfte der 2030-er Jahre wieder nominell das Vorkrisenniveau von 242 Milliarden Euro erreichen. Die Arbeitslosenquote dürfte sogar erst 2055 wieder auf 7,5 Prozent zurückgehen, den Stand vom Sommer 2008, so eine Studie des Arbeitsmarktexperten Savvas Robolis.
Fast untergegangen ist im Wahlgetümmel die Meldung: Deutsche Staatsanwälte dürfen EU-Haftbefehl nicht mehr ausstellen, beschloss der Europäische Gerichtshof. Denn: deutsche Staatsanwälte sind nicht unabhängig, sondern unterliegen der Weisungsbefugnis des jeweiligen Justizministers. Das hatte ich auch erst vor wenigen Jahren erfahren, in der Schule hatte man uns die Unabhängigkeit der 3. Gewalt im Staat beigebracht. Pustekuchen: es ist bei uns genau so wie in der Türkei!

Tracks
Ägina
Athen

geschrieben am 26, 27. und 30. Mai 2019


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