Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Neapel

   J. Schäfer          

Mittwoch, 11. Mai, bis Freitag, 20. Mai

Schon am vergangenen Samstag war ich in Neapel, um die Stadt erfühlen zu können; der Zug fährt unweit meines Campingplatzes Spartacus in Pompei los, allerdings warte ich fast ½ Stunde und er braucht dann gut 40 Minuten zum Bahnhof in Zentrumsnähe. Schon die erste Kirche, Santa Maria del Carmine Maggiore: eine Wucht!


… irgendein Fest ist ja immer!

Marienstatue aus dem 14. Jahrhundet.

Das war einmal das Kloster Sant'Arcangelo a Baiano, Andreas Avellino sollte das heruntergekommene Kloster reformieren; wenige Jahre später, 1577, musste es dennoch wegen sittenwidrigen und kriminellen Verhaltens gegenüber den Nonnen, das die Bewohner dieser von Lust und Blut und Sakrileg hässlichen Gasse an den Tag legten, aufgegeben werden. Bis heute hat sich in dieser Gegend nicht viel gebessert, was man nicht nur sieht, sondern auch riecht und spürt: merkwürdige Blick auf den Touristen, kein Wohlfühlort.

Insgesamt aber bin ich wirklich positiv überrascht: die Stadt ist - für hiesige Verhältnise - relativ sauber und ordentlich, die Leute sehr freundlich. Etwas nervig sind die mit den schwarzen Vesuv-Steinen gepflasterten Gassen und Straßen - aber weil sie das sehr laut macht, hört man die unzähligen Autos und Motorräder kommen und kann zur Seite gehen - wobei sie alle aufpassen, aber eben auch mit 1 cm Abstand an einem vorbeirauschen, was mein träges schwäbische Gemüt immer erschreckt.
Die vielleicht faszinierendste Altstadt Europas nennt es - nicht zu unrecht - mein Reiseführer (Peter Amann: Golf von Neapel, Kampanien, Cilento, Reise Know-How Verlag Peter Rump, 3. Aufl. Bielfeld 2006). In den 1990-er Jahren hat der kommunistische Bürgermeister Antonio Bassolino vieles aufgerämt - von Verbrechen über Bauwerke, Unordnung, Schlendrian bis hin zum Verkehr, der ganz passabel läuft - viel besser als in den Gemeinden des Speckgürtels; sogar die Müllabfuhr ist besser als gedacht. Und die Stadt ist so quicklebendig, dass es ansteckend wirkt: unzählige laute Menschen, die scheibar immer gut gelaunt sind.

Unter den Kirchen, die ich nicht suchte: dieses Kleinod, erbaut 1516, die Kirche Santa Maria della Stella alle Paparelle.

In der Gasse mit der prächtigen Kirche San Gregorio Armeno tobt trotz des schlechten Wetters der Tourismus. Weil der Platz knapp war, baute man den Kirchturm über die Gasse hinweg.

12 Kirchen und 3 andere Stellen konnte ich bislang besuchen, nun kommt der Regen und will nicht aufhören, ich suche das Dach im Kreuzgang des einstigen Klosters Santi Marcellino e Festo, wo die Wachleute (die gibt es hier an jedem Eingang zu öffentlichen Gebäuden) mich freundlich begrüßen.

Nachdem der Regen nachzulassen scheint, besuche ich vier weitere Kirchen - darunter Santi Severino e Sossio, deren Öffnung vom italienischen Automobilclub betreut wird (haben die nichts andereszu tun ?) - und diese, Santa Maria Donnaromita - , bis der Regen wieder stärker wird.

Nach diesem ehemaligen Jesuitenkolleg an der Kirche del Gesù Vecchio, unterbrochen durch mehrfaches Unterstehen, weil der Regen zugenommen hatte, und der Prognose, dass er weiter zunehmen werde - ganz anders, als gestern vorhergesagt - flüchte ich in die U-Bahn. Und warte ½ Stunnde, denn auch sie fährt nur alle 30 Minuten - die U-Bahn einer Stadt mit fast 1 Million Einwohnern! Kein Wunder, dass die Leute ihre Autos und v.a. unzählige Motorräder durch die Gassen quälen. Zudem liegt die Metro tiefst unter der Erde, was lange Fußmärsche bedeutet. So geht Mafia: riesige Investition, an der man verdienen kann - aber kaum Nutzen, denn darum geht es ja nicht. Die Blaupause für Stuttgart-21.

Am Sonntag repariere ich zuerst die Navi-Fehler vom vergangenen Mittwoch in Pozzuoli: zunächst die Ruinen des Amphitheaters, wo Januarius von Neapel und Proculus - erfolglos - wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen worden waren, dann das Macellum, wo Maria di Sesso starb und der Kamillianerorden wirkte. Und Glück habe ich an der Kirche Kirche San Gennaro, weil gerade der zum Muttertag viel besuchte Gottesdienst zu Ende ist und ich nun ohne zu stören fotografieren kann. Neben den genannten Märtyrern, die an oder nahe ihres Todesortes hier verehrt werden, starben dort auch Arthemas und Gefährten, Dasius und Gefährten; Jeremias von der Walachei war dort im Kloster tätig, Juliana von Nikomedien wurde dort früher verehrt.

Dann geht es mit dem Auto in Außenbezirke von Neapel, zuerst ans Seeleute-Hospiz, das Ludwig von Casoria gegründet hat. Davor: dieses Denkmal für ihn: Nein, mit Faschismus hatte die Kirche natürlich noch nie etwas am Hut.

Von der ehemaligen Einsiedelei dei Camaldoli hoch über der Stadt ergibt sich ein fantastische Blick auf Neapel und den Vesuv …

… sowie auf die westlichen Vororte mit dem berühmten Fußballstadion (links) und auf die Inseln Procida /vorne) und Ischia.
Vom Seeleute-Hospiz hierher sind es 13 km; Fahrtdauer: genau eine Stunde, weil: heute ist zwar Sonntag, also ideal für Autofahren in Städten - aber es ist Muttertag, also sind alle alle alle Italiener ins Auto gestiegen, um ihre Mutter zu besuchen.

In Marano bei Neapel wurde Rafael delle Nocche geboren; der Weg zur Pfarrkirche zeigt, wie man am Berg bauen muss. Und in diesem Ort - er gehört nicht mehr zu Neapel - merke ich nun erstmals: man riecht die Camorra, die neapolitanische Mafia, auch wenn ich gar nicht begründen kann, woran man es merkt. Die Camorra entstand, nachdem 1735 unter spanischer Herrschaft der König die Einrichtung von acht Spielhöllen, Camorra genannt, zuließ.

Nicht gesucht, aber man muss anhalten: die Kirche dell'Incoronata Madre del Buon Consiglio, erbaut um 1900 mit Geld einer reichen Frau als Kopie des Petersdoms in Rom.

Nachdem inzwischen der Regen wieder begonnen hat - diesmal der Prognose entsprechend - gebe ich nach dem Besuch an der ehemaligen Kartause San Martino auf. Immerhin konnte ich außer Pozzuoli und Marano noch zehn Stellen in Neapel besuchen.

Montag und Dienstag gehören dann wieder dem Schreiben aus dem vorherigen Trip, aber am Mittwoch geht es mit der Vorortbahn wieder ins Zentrum von Neapel, so zur - wie immer prächtigen - Kirche der Jesuiten del Gesù Nuovo

… und davor der riesigen Säule der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria.

Es sind so viele Kirchen, dass es neben jenen auf meiner Liste unzählige weitere gibt, so diese Santa Maria delle Anime del Purgatorio ad Arco, über einem Hypogäum erbaut als Begräbnisstätte für die Armen.

Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht: das Denkmal für Kajetan von Thiene vor seiner Kirche San Paolo Maggiore.

Eine ganze Reihe von Kirchen ist leider Baustelle, hier die Kirche dei Girolamini.

Weil ich am Morgen schon früh in der Stadt war, reicht es, noch vor deren Mittagspause die Kathedrale zu besuchen.

Überwältigend: die Reliquiensammlung in der Kathedrale; dabei brachte Neapel kaum eigene Märtyrer hervor: Januarius von Neapel war Bischof von Benevent und starb in Puteoli / Pozzuoli, auch sonst: nahezu Fehlanzeige. Das berühmte arrangiarsi, die Philosophie des Sich-Arrangierens mit den Umständen, war wohl schon in frühchristlicher Zeit ein Wesenszug der Neapolitaner - und macht bis heute ihren Alttag trotz Vesuv, Camorra und all den anderen Widrigkeiten so scheinbar unbeschwert und unverbrüchlich lebensbejahend.

Ja: eine Altstadtgasse, hinter der Kathedrale; aber auch: das Priesterseminar!

abseits der Touristenströme

Das Gebäude der Gynäkologischen und Pädiatrischen Universitätsklinik ist nicht sehr alt: das ist dessen Hinterhof. Es steht an einem Platz, auf dem es schon Ende des 6. Jahrhunderts ein von Agnellus von Neapel gegründetes Hospiz gab. Aufgrund schwerer Gebäudeschäden und Einstürze sind die historischen Teile des nahen Spitals der Unheilbaren seit 2019 geschlossen, waren also auch für mich unerreichbar.
Aber: insgesamt - entgegen Medienmeldungen bei uns - ist das Müllproblem in Neapel nicht katastrophal, in andern Orten des Mezzogiorno sieht es viel schlimmer aus. Die medizimische Versorgung ist trotz des Ambientes offenbar sogar gut: Auf dem Campingplatz Alessandra auf Sizilien hatte ich einen Nachbarn der erzählte, dass er vor zwei Jahren - vor Corona - auch hier war und einen Oberschenkelhals-Bruch erlitt. Die Behandlung im Krankenhaus und die anschließende Reha seien vorzüglich gewesen, auch sein österreichischer Arzt habe später bei der Begutachtung die Arbeit der italienischen Ärzte für tadellos empfunden. Bis zu den Sparmaßnahmen nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 hatte das italienische Gesundheitssystem im weltweiten Ranking der WHO Platz 1 inne!

Weil ich nicht nur immer schreiben kann, gehe ich spazieren und schauen mir das Chaos an auf der direkt an meinem Campingplatz Spartacus vorbei führenden Hauptstraße mit der Abzweigung zur Autobahn und Zufahrt zu den Ruinen von Pompeji. Fünf BeamtInnen regeln den Feierabendverkehr - und machen das Chaos noch größer. Und unter großem Protest verhindert eine von ihnen, dass ein Taxi mit Platz für sieben Fahrgäste deren acht mitnimmt. Italienisches Schauspiel at it's best, kostenlos zu genießen

Nach 15 Nächten auf dem Campingplatz Spartacus in Pompei mache ich mich auf; zwar ist der Platz sehr ordentlich, aber der Lärm von der Straße nervt von frühmorgens bis spätabends. Die verbleibenden Reste von Neapel erledige ich ambulant, zuerst eine Führung in den nach Januarius von Neapel benannten Katakomben San Gennaro.

Die Katakomben San Gennaro bestehen aus zwei jeweils von außen zugänglichen Ebenen, hier der Eingang zur (jüngeren) unteren.

Vor den Katakomben wurde einst das Benediktinerkloster San Gennaro fuori le mura errichtet, hier die Fassade der Kirche, davor das im 17. Jahrhundert erbaute Krankenhaus für Pestkranke, das dann ein Hospiz für die Armen wurde und bis heute ein Krankenhaus ist.
Gelernt habe ich: dass ein Gebäude mit Planen verkleidet ist, heißt nicht, dass daran gearbeitet wird. Direkt gegenüber vom Campingplatz Spartacus und direkt am Eingang zu den Ruinen von Pompeji steht das ehemalige Hotel Svizzera, das offenbar gute Zeiten erlebt hatte und seinem Namen Ehre gemacht, aber nun sichtlich Ruine ist. Als ich ankam, wunderte ich mich über die Metallkonstruktion, die am ganzen Haus festgemacht war. Inzwischen wurde deren Sinn klar: daran wurden Planen befestigt. So sieht das Gebäude in den Augen der vielen Besucher von Pompeji nach Renovierung aus, sein Zustand ist aber in Wahrheit nur versteckt. Ähnlich ist es offenbar auch hier mit dieser Kirche …

… denn so sieht die seitliche Fassade von San Gennaro fuori le mura aus, wo aber kaum ein Fremder hinkommt - ich auch nur irrtümlich. Darüber die schon einmal von vorn gesehene Kirche dell'Incoronata Madre del Buon Consiglio - Reichtum und Elend ganz nahe beisammen, typisch für Neapel.
Es sind also nicht so viele Kirchen, die wirklich renoviert werden, wie ursprünglich gedacht. Übrigens: dieser Tage stürzten auch Teile des Daches des Ratshauses ein - glücklicherweise nachts, so dass niemand verletzt wurde; auch der Ratssaal ist nun nicht mehr benutzbar.

Das Sanità-Viertel, in dem ich mich bewege, war ursprünglich Sitz von Adel und wohlhabenden Bürgern, heute ist es eher ein sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslosigkeit und Hochburg der Camorra, aber auch echt volkstümlich …

… in dem sich aber der einstige Wohlstand noch gelegentlich zeigt.

Der Komiker Italiens, Toto, wurde 1898 in diesem Haus geboren als unehelicher Sohn einer Dienstmagd. Mein Reiseführer zitiert den Journalisten Peter Peters, der ihn als traurig wie Buster Keaton, ungeschickt wie Stan Laurel, hintergründig wie Charlie Chaplin und mit wasserfallartigen Dialekttiraden wie Hans Moser charakterisierte.

Am Abend besuche ich noch den Hafen; drei Kreuzfahrtschiffe sind auch schon da - furchtbar!;

Der Blick auf die Orte des südlichen Speckgürtels und den Vesuv ist einfach großartig. Übrigens: ich habe überlebt, solange ich dort war, ist der Vulkan nicht ausgebrochen, aber Fachleute erwarten schon länger eine baldige und furchtbare Eruption.
Sicher schlafen kann ich heute an der nahen Raststätte Pozzuoli - und zudem sehr viel ruhiger als auf dem Campingplatz Spartacus in Pompei!

Am Freitag besuche ich die Ziele wieder zu Fuß, bei derAnfahrt muss ich keine Minute auf die U-Bahn warten, aber gestern und heute sind nun die ersten heißen Tage des Jahres mit 31° im Schatten, also etwas mühsam. Und auch mein erstes Ziel, die ehemalige Kirche San Potito, ist nicht wie erhofft, sondern Baustelle.

Leider sind einige der aufgesuchten Kirchen wirklich Baustelle, auch die Fassade der Kirche San Michele Arcangelo, die aber geöffnet ist und sich innen prächtig darbietet.

Ich komme ins spanische Viertel, unter habsburgisch-spanischer Herrscahft im 16. Jahrhundert erbaut mit engen Gassen in schachbrettförmiger Anordnung, heute noch verrufener als das Samità-Viertel und das Viertel mit der höchsten Arbeitslosigkeit in ganz Europa, dennoch von seinen Bewohnern ob der Solidarität im Elend geliebt; nach starken Erdbebenschäden 1980 sollten sie umgesiedelt werden, haben das deshalb aber verweigert.

Und wo die Not am größten, ist die Verehrung von Nothelfern am lebendigsten.

Das ist die dortige - wohlgemerkt: aktive - Kirche Santi Francesco e Matteo.

Direkt anschließend ans Elendsquartier: die Via Toledo, einst das Viertel des Adels, heute vornehmes Geschäftsviertel mit Fußgängerzone und exklusiven Läden. Und hier, wenige Schritte vom Hafen, sind nun auch die Kreuzfahrt-Touristen zuhauf unterwegs. Man erkennt sie an der blassen Haut - in den Speisesälen auf dem Schiff scheint keine Sonne -, der gediegenen Kleidung und v.a. den ewig unsicherne Blicken - Schatz, weißt du noch, wie diese Stadt heißt und was wir hier sehen sollen? -, gepaart mit dem Blick auf die Uhr - das Schiff wartet nicht, hatte der Reiseleiter gesagt.

In der prächtigen Königlichen Basilika San Francesco di Paola war gerade Hochzeit - und bereit steht dieser Campingbus - genau denselben hatten wir bei unserer Hochzeit auch, nur ohne Fenster. Das Brautpaar fährt dann aber nicht in diesem Oldtimer davon, sondern in einem Rolls Royce. Von hier zum Spanischen Viertel sind es gerade mal 200 Meter.

Das war Neapel, schon am späten Nachmittag kann ich mich auf meinen Übernachtungsplatz zurückziehen - wieder die Raststätte Pozzuoli, diesmal aber die Südseite mit diesem herrlichen Blick aufs Meer und Miseno. Il mondo è bello, perchè vario, die Welt ist schön, weil abwechslungsreich, sagen dieNeapolitaner, meinen zuallerst ihre Stadt und haben Recht damit Etwas wehmütig fällt also der Abschied aus dieser faszinierenden Stadt aus - und mit etwas Erleichterung, das Chaos hinter mir lassen zu können.
725 Fotos habe ich gemacht, davon kamen 157 ins Heiligenlexikon.

Track
Pozzuoli (wieder abgebrochen)

geschrieben vom 12. bis 17. Mai und 22. bis 23. Mai 2022


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