Freitag, 12. Juli
Mein Weg geht wieder ein Stück weit nach Osten, nach
Akhisar, das frühere
Thyatira, auch eine der sieben Gemeinden der Sendschreiben der Offenbarung; neben Lob empfängt die Gemeinde auch Tadel, weil
dort eine selbsternannten Prophetin
Teile der Gemeinde zur Unsittlichkeit und dem Verzehr von Götzenopferfleisch
verführt. Aber auch Lydia von Philippi, der
erste Christenmensch Europas, wurde hier geboren.
Erhalten sind mitten im Zentrum der modernen Stadt die Mauern einer
Basilika, die im 5. / 6. Jahrhundert an der Stelle der
früheren Agora erbaut wurde.
Neben der Basilika führte die Säulenstraße mit 100 Säulen entlang, auch davon sind Reste erhalten, die bei den Ausgrabungen 1974 / 75 gefunden wurden.
Weiter gen Osten: Wolken (Hesse lässt grüßen!) - die ersten seit vielen, vielen Tagen; auch die Temperaturen werden jetzt im Bergland erträglich. Die Fahrt führt durch herrliche Wald- und Berglandschaft ...
... nach Gördes, das antike Gordos, wo Karpus Bischof war, der wohl um 165 mit seinen Gefährten in Pergamon den Märtyrertod starb.
Nach den Wochen der Hitze und Schwüle: aufatmen! Und die herrliche Landschaft genießen.
Von Gördes geht es -
zunächst viele Kilometer über schmale, bergige Nebenstraßen - einen großen Sprung nach Westen, an die Küste nach
Behramkale, das antike
Assos, wohin Paulus bei seiner Rückkehr von der 3.
Missionsreise von Troas
auf dem Landweg reiste, um dann vom Hafen aus das Schiff zu nehmen.
Um 360 v. Chr. lebte der berühmte Philosoph Aristoteles hier, der die Besucher am Eingang des Städtchens begrüßt.
Die Stadtmauer mit 3 km Länge ist größtenteils noch sehr gut erhalten.
Der kleine Hafen liegt am Abend schon im Schatten. In meinem alten Reiseführer steht, er entwickle sich zum Treffpunkt von Rucksacktouristen; das war so auch, als wir vor 23 Jahren hier waren. Das war einmal, inzwischen ist er Hotel- und Restaurant-Standort; im Ramadan geht man abends essen - derzeit ab kurz nach 20.30 Uhr, entsprechend voll wird es dort. Als ich zum fotografieren kurz auf dem Parkplatz einer Lokanta anhalte, verliert der Besitzer fast die Fassung - beim Kampf um Parkplätze kennt der sonst so beherrschte Türke keine Gnade!
Nur dieses Foto will ich machen: der Blick auf die griechische Insel Lesbos - so nahe ist hier Europa. Im Hafen steht zwischen all den Restaurantgästen deshalb ein Jandarma-Mann mit Maschinenpistole; er wird den griechischen Feind sicher aufhalten, sollte der es wagen ...
Oberhalb des Hafens und unterhalb des hohen Felsen mit der alten Festung lag das Amphitheater.
Auf dem steilen Weg durch den heutigen Ort hoch zur alten Festung reiht sich für die Touristen Stand an Stand.
Neben der eigentlichen Festung steht eine der ältesten erhaltenen osmanischen Moscheen, sie stammt aus dem 14. Jahrhundert.
Daneben will ein Puter die Pute begatten - die will aber nicht, hat wohl Kopfweh
.
Unten, im heutigen Ort, außerhalb der alten Stadtmauer, war die Nekropole; hier steht dieser (aufgebrochene) Sarg.
Und im Tal steht diese wieder aufgebaute osmanische Brücke.
Es kündigt sich ein toller Sonnenuntergang an und ich habe die Idee, ihn im nächsten Ort am Meer fotografisch einfangen
zu können. Daraus wird leider nichts, die Straße ist zu schlecht, die Entfernung zu groß, deshalb kaufe ich nur etwas zu Essen
und will außerhalb des Ortes übernachten. Aber erst plagten Schnaken, dann Merkwürdigkeiten: ein haltendes Mofa ein paar
Meter von meinem Auto entfernt, dann ein haltendes Auto und ein Schuss, ein suchender Mann mit Taschenlampe, noch ein Auto,
das halt machte ... Das war mir zu mulmig, ich fuhr nun mitten in der Nacht um 2 Uhr weiter ins nächste Dorf ...
... das ausgerechnet
Tuzla
* hieß und sich am nächsten Morgen beim Blick aus dem Fenster auch dementsprechend präsentierte. Aber
der Rest der Nacht war hier schnakenfrei und ruhig.
Die Türkei ist ein sehr, sehr sicheres Land. Polis und / oder Imame leisten hier offenbar gute Arbeit. Abgesehen von dieser
Ausnahme hatte ich nie auch nur im entferntesten ein Gefühl von Unsicherheit, nie auch nur den geringsten Verdacht, bedroht,
bestohlen oder betrogen zu werden. Die Leute sind offen und ehrlich in einem wirklich heutzutage nicht mehr normalen Maß.
Auch in dieser Nacht galten die Merkwürdigkeiten wohl zu jagendem Wild, sicher nicht mir, aber Vorsicht schadet nicht ...
Samstag, 13. Juli
Am Morgen ging's einige Kilometer zurück in den am Abend nicht mehr erreichten Ort Babakale, den westlichsten Punkt Kleinasiens (und damit natürlich Asiens überhaupt).
Auch hier gibt es eine (restaurierte) Festung ...
... und davor noch einen Beobachtunspunkt des modernen, allzeit bereiten türkischen Militärs.
Im Hintergrund wieder die Insel Lesbos.
Zurück, jetzt kurz nach Tuzla: Kalk-Sinterterassen! Vielleicht kann man von Pamukkale etwas lernen ...
Mein Ziel ist Troas - eigentlich Alexandria Troas - beim heutigen Fischerdorf Dalyan - nicht zu verwechseln mit dem berühmten Troja. Troas ist eigentlich der Name der Region. Alexandria Troas erlebte in der Römerzeit eine Blüte, sollte von Kaiser Konstantin sogar zur Hauptstadt des Römischen Reiches gemacht werden, schlussendlich entschied er sich aber doch für Konstantinopel.
Die Fundamente des Tempels auf der Agora, gebaut im 1. Jahrhundert unter Kaiser Augustus.
Paulus war hier auf seiner 2.
Missionsreise; im 2. Korintherbrief berichtet er von erfolgreicher Mission (2, 12). Außerdem wurde ihm hier die Vision
zuteil, mit der er den Auftrag zur Mission in Europa erhielt, wohin er dann sogleich aufbrach (Apostelgeschichte 16, 8 - 10),
wobei er von Lukas begleitet wurde. Auch
Ignatius von Antiochia weilte auf
der Fahrt seiner Verschleppung nach
Rom einige Zeit hier
und verfasste hier drei der nach ihm benannten Briefe.
Die Ausgrabungen - hier Reste der originalen römischen Wassserleitung - sind nicht großartig; aber der Eintritt ist frei - schier unglaublich!
Im Magazin liegen einige sehr ansehnliche Fundstücke.
der heutige Hafen im Ort Dalyan
Nächste Station ist Çanakkale,
die Stadt an der engsten Stelle der Meerenge der Dardanellen - drüben ist die Halbinsel Gallipoli - türkisch Gelibolu -,
die zum europäischen Teil der Türkei gehört. Durch die Meerenge müssen alle Schiffe fahren, die
Ístanbul und das
Schwarze Meer erreichen wollen. Entsprechend umkämpft war diese Stelle: schon zu Zeiten des alten Troja, bei Alexander dem
Großen, Kaiser Friedrich I. Barbarossa
oder im 1. Weltkrieg mit über 100.000 Toten, als die Türken (und Deutschen)
die Franzosen, Engländer und Alliierten 1916 schlugen.
die Burg Kilibahir auf Gelibolu
Sie blieben treu (im Kampf), um euer Land zu verteidigen ...
Das antike Lampsakos, das heutige Lapseki, war eine Zeit lang die Heimat des berühmten skeptischen Philosophen Epikur. Der weithin verehrte Märtyrer Tryphon (Trifon) wurde hier begraben, Petrus, Andreas und Gefährten starben hier als Märtyrer, Parthenios war hier im 4. Jahrhundert Bischof. Reste der alten Stadt gibt es nicht mehr, aber dieses ehemals schöne Haus.
Sehr spärlich sind auch die Reste des alten Kyzikos beim heutigen Erdek: eine ungeordnete Ansammlung von Steinen eines unter Kaiser Hadrian gebauten Tempels. Fausta lebte hier und starb als Märtyrerin, Maximus der Bekenner war hier Mönch und musste 626, als die Perser ins Land einfielen, fliehen, Aemilianus von Cyzicus war im 8. / 9. Jahrhundert hier Bischof.
Erdek selbst ist ein
nettes Städtchen; vom Hafen aus fahren Fähren auf die Inseln des Marmara-Meeres.
Es gibt hier einen Campingplatz mit einem sehr schönen Internetauftritt: Camping
ANT; sehr schattig, mit neuen und sehr sauberen Sanitäranlagen - hier wollte ich einige Tage bleiben. Aus dem Baden
im Meer wurde leider nichts: es gibt Quallen; aus der gemütlichen Nachtruhe auch nicht: es gibt auf der ungepflegten Wiese
jede Menge Schnaken.
Sonntag, 14. Juli
Also ging's am Sonntag weiter. Das Wetter wurde seit gestern schlecht
, d. h. es gibt einige Wolken, erträgliche
Temperaturen und am Meer Wind und frische Luft - herrlich!
Apollonia in Bithynien (oder Mysien), das heutige
Gölyazı, war noch bis
zum Bevölkerungsaustausch von 1922 / 23 von Griechen bewohnt; deren dreischiffige Kirche ist renoviert, aber leider
geschlossen; am Sonntagvormittag weiß auch keiner der wenigen Passanten, wo es einen Schlüssel geben könnte.
Apollonia / Gölyazı liegt auf einer spitzen Halbinsel und einer mit dieser durch eine Brücke verbundenen Insel im Ulubat-See, der 23 km lang und 12 km breit ist. Thyrsos und seine Gefährten starben hier um 250 als Märtyrer.
Ähnlich wie das Marmara-Meer bei Erdek ist auch der eigentlich sehr schöne See voll von Algen, wohl Folge der Überdüngung durch die Landwirtschaft und der Temperaturerwärmung; deshalb wohl auch die Quallen am Campingplatz.
Dem Ertrag der Fischer, die hier am Sonntagmorgen ihren Fang zum Verkauf vorbereiten, tut dies wohl keinen Einbruch - im Gegenteil. (Am Bodensee beklagen sich die Fischer inzwischen, dass die Kläranlagen zu gut arbeiten und die Zahl der Fische schmälern, wodurch sie weniger fischen können.)
Ich fahre zum bithynischen
Olymp, dem heutigen
Uludağ-Bergmassiv südlich
von Bursa. Von der Stadt
- praktisch auf Meereshöhe gelegen - geht es mit dem Auto durch herrlichen Wald bis auf fast 2000 Meter hoch, die Spitze des
Berges - wie meist in Wolken - liegt 2542 m über dem Meer. Von diesem sagenumwobenen Berg aus beobachteten die Götter auch den
Trojanischen Krieg ...
Die Bergregion ist Nationalpark und Erholungsgebiet - natürlich mit Eintritt, stolze 8 €. Am Ende der Straße beginnt das Skigebiet, das in den letzten Jahren massiv entwickelt wurde zum Winterspaß für Wohlhabende aus Bursa und Ístanbul.
Das Skifahren am Uludağ
wurde von einem Deutschen entdeckt: der Physik- und Philosophieprofessor Hans Reichenbach musste in den 30-er Jahren
vor den Nazis fliehen, ging in die Türkei, suchte einen Ort für sein gewohntes Hobby und fand ihn hier. Inzwischen gibt es
15 Hotels, 15 Sessel- und Schlepplifte im Eigentum der Hotels und 30 Pisten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade, in der
Regel zu befahren bis in den April hinein.
Die Lifte kommen aus Österreich, die Architektur offenbar auch, die Größe der Hotels spricht Bände ...
... und es wird weiter gebaut.
Gut, dass die Flora doch noch eine Chance hat ...
... und auch die Fauna, selbst hier oben!
Ich fröstle, überlege, ob ich meinen Pullover wieder aus dem Schrank holen soll: es hat hier oben nur
inzwischen
völlig ungewohnte 27,8°.
Ich will aber hier nicht Ski fahren, sondern folge den Spuren der Mönche, die an diesem Berg in Einsiedlerkolonien
lebten. Schon im 3. Jahrhundert zog sich Neophytos
hier in eine Höhle zurück.
Joseph Studites verbrachte im 8. Jahrhundert
eine Zeit hier; der Berg wurde in der Zeit des Kampfes um die Verehrung der
Ikonen zum Rückzugsgebiet der Mönche. Die Georgier
Hilarion im 9. Jahrhundert sowie
Johannes Waraswatsche und sein Sohn,
Euthymius der Hagiorite, waren im 11.
Jahrhundert hier, auch
Christodoulos war hier Einsiedler im 11.
Jahrhundert.
Es führt auch eine Seilbahn von Bursa auf den Uludağ, diese wird gerade erneuert; ich staune, wie groß die Teile sind, die hier bereit liegen (gefertigt von einer österreichischen Firma).
Ich will noch einmal ein Stück Richtung Osten; mein Navi führt mich auf schmalen, kurvigen Nebenstraßen entlang des großen Uludağ-Massivs durch herrliche Berglandschaften mit wohltuenden Temperaturen.
Erst gegen Abend komme ich nach
Kütahya, das alte
Kotyaion, wo der nach mancher Version der Legende
Menas von Ägypten als Märtyrer starb. Direkt neben
der großen Moschee
ist (links) das Archäologische Museum.
Dort gibt es diesen schönen Sarg - leider auch aufgebrochen - ...
... und schöne Fragmente mit Skulpturen.
Am Platz vor der großen Moschee tanzt der Derwisch - er dreht sich tatsächlich im Kreis.
Die Stadt hat auffallend viele alte, früher schöne Häuser; sie sind zumeist verlassen.
In und um Kütahya sind nicht nur Pferde, sondern auch die Berge (jedenfalls ursprünglich) weiß.
Es ist Sonntagabend, was die Arbeit nicht stört. Die Industrie arbeitet auch in der Türkei sonntags nicht; alles andere:
LKWs, Straßenbau, Müllabfuhr, alle Geschäfte und die Bauern sowieso kennen keinen Sonntag.
Abgebaut wird das weiße Kaolin, Grundbestandteil von Porzellan; die Stadt ist für ihre Porzellan-Produkte.
Hoch über der Stadt die Burg mit ihren 84 in Teilen erhaltenen Türmen, im Grundbestand aus dem 9. Jahrhundert.
Ich beschließe, in der schönen Stadt Essen zu gehen. Im ersten Restaurant sind alle Tische belegt - ein besonderer Anlass?
Doch, da ließe sich dennoch etwas machen, meint ein Ober, ich solle warten, er frage den Chef. Ich warte; auf die Tische - noch
ohne Gäste - werden die Vorspeisen aufgetragen; ich warte weiter; und warte ... und beschließe: es gibt auch noch andere
Restaurants. Um die Ecke wirbt der Schlepper - auf Englisch - mit der Menuekarte, bietet mir sofort einen Platz an, ich wähle
şiş kebabı
, Fleisch am Spieß. Hilfesuchend ruft er einen Kollegen, berät sich, dann zu mir: problem!
Tippt auf
seinem Handy - und nach mehreren Fehlversuchen zeigt es 20:38
. Mir kommt es schlagartig: Ramadan! Ich hatte ihn
vergessen, an der Küste merkt man davon nichts, auch am
Uludağ wurde wie üblich
gegrillt - vielleicht weniger als sonst, aber es war ja noch am Vormittag. Aber hier darf man vor Einbruch des
vorgeschrieben Grades der Dämmerung kein Essen servieren, auch nicht für Ungläubige
. Und plötzlich fiel es mir wie
Schuppen von den Augen: die merkwürdig stille, aber spürbare Aufgeregtheit der Leute: sie warten auf den großen
Augenblick! Die besondere Aggressivität der Autofahrer und dass plötzlich die meisten Geschäfte schon geschlossen waren: sie
müssen pünktlich zu den Essenströgen!
Ich will nicht noch eine Stunde warten, kaufe mir ein Pide (im Ramadan wird statt des normalen Brotes üblicherweise
dieses flache Brot gegessen, in der ganzen Stadt sehe ich nichts anderes), fahre hinaus aus der Stadt und finde ein nettes
Plätzchen nahe eines Stausees. Ein streunender Hund bekommt den Rest meines alten Brotes und bewacht
mich die ganze
Nacht, die höchst angenehm kühl ist, ich bin auf fast 1000 Meter ü. d. M.; zur Belohnung darf er den Rest des Pide zum
Frühstück essen.
Die Tracks:
Gülpınar
Erdek
Kütahya
* Die Stadt Tuzla in Bosnien und Herzegowina war im Bosnienkrieg Zufluchtsort vieler Flüchtlinge und UN-Schutzzone, wurde aber dennoch durch den Einschlag einer Artilleriegranate bosnisch-serbischer Truppen zum Ort eines Massakers mit 71 Toten, v. a. Jugendlichen.
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