Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Durch die Wüste

   J. Schäfer          

Sonntag, 21. Februar und Montag, 22. Februar

Hinter Guelmim gibt es dann kaum noch Vegetation, nur ein kleines Dorf im Nirgendwo und schier endlose Kilometer mit dem Auto vor mir - die Wüste beginnt.


Tan Tan, unweit des Meeres und von der Regierung zum Hochseehafen ausgebaut, begrüßt mit zwei Kamelen …

… zeigt aber auch noch, wie es vor einiger Zeit aussah. Ein Fotostopp führt jetzt unvermeidlich zu freundlicher Begrüßung durch irgendwen und zum Verlust einer Zigarette. Gerne!

Die Fahrt führt von nun an direkt an der Küste entlang, die allerdings steil einige 10-Meter hoch abbricht, also kaum zum Baden erreichbar ist. Dennoch stehen unweit der Straße immer wieder französische Wohnmobile oder höchst bescheidene Fischerhütten.

An Flussmündungen - hier die des Oued Chbieka - reichen Sanddünen bis ins Meer. Das Wasser ist natürlich kein Flusswasser - der ist trocken -, sondern Meerwasser.

Die Straße ist manchmal gut ausgebaut, oft aber recht eng, jede Begegnung mit einem LKW und jedes Überholmanöver ist Nervenkitzel. Der Blick geht voraus: Sind Abbrüche im Straßenrand? Hält der LKW wirklich seine Spur? Und sicherheitshalber zum Überholen die Geschwindigkeit reduzieren!, denn aufs Bankett abkommen wäre, erst recht jetzt nach dem Regen und dadurch aufgeweichtem Boden, - womöglich im wahrsten Sinne des Worte - tödlich.
Am Weg: dieses vom Atlantik ausgewaschene Loch am Rand der Straße, für mich ein kurzer Stop, für eine Truppe von Polizisten (oder Soldaten?), die mich freudig begrüßt, mit dem Bus angefahrenes Ausflugsziel. Der Dienst in der Wüste ist hart!

In der letzten Stunde vor Tarfaya regnet es. Ich fahre mit Scheibenwischer durch die Sahara!
In Tarfaya war Antoine de Saint-Exupéry Leiter des Flugplatzes, der für Zwischenlandungen auf der Route in die Kolonien diente. Reste der alten französischen Kaserne gibt es noch und direkt daneben ein Saint-Exupéry-Museum.

Viel vom alten Glanz der französischen Kolonialherren in In Tarfaya - damals wegen des Küstenbogens Cap July genannt - blieb nicht …

… auch die Fassade der einst machtvollen Bastion zum Meer hin hat an Eindrücklichkeit eingebüßt. Dafür wurde die Uferpromenade des 8000-Einwohner-Städtchens - der Durchgangsverkehr geht am Ort vorbei - großzügig ausgebaut.

Mächtig prächtig auch: das Rathaus …

… und daneben eines der wenigen Plakate mit dem Konterfei des Königs und Oberhauptes der Gläubigen, Mohammed VI., der schüchtern wirkende Mann in der Mitte, eingerahmt von Sohn und Bruder. Er ist einer der reichsten Könige weltweit - geschätztes Privatvermögen von zwei Milliarden Euro - mit zig Industriebeteiligungen samt Besitz der Maserati-Vertretung, Miteigentum an der größten Supermarkt-Kette, Marjane, Weingütern und einer Bierbrauerei.
Diese Plakate sind inzwischen sehr selten - im Unterschied zu vor 25 Jahren, als Vater Hassan II. buchstäblich jeden - jeden! - Laternenmast zierte. Aber der jetzige König ist im Unterschied zum despotischen Vaters im Volk beliebt, sein Image ist das des Freundes der Jugend und der Armen; ganz gut ist er dargestellt auf der Webseite Der richtige König für die falsche Monarchie?. - Auch kritische Webseiten sind hier erreichbar, es gibt offensichtlich - anders als z. B. in der Türkei - keinerlei Zensur.
Mohammed VI. heiratete erstmals eine Bürgerliche, eine deutlich jüngere, sich modern zeigende Frau und kündigte 2011 als Reaktion auf den Arabischen Frühling Verfassungsreformen an: Marokko soll von einer konstitutionellen zu einer parlamentarischen Monarchie umgestaltet werden, das Volk stimmte mit 98% zu, der König gab Machtbefugnisse ab, die Wirren des Frühlings verschonten das Land.

Vor Tarfaya erstreckt sich ein riesiger Sandstrand, davor steht mitten im Meer die Ruine des Casa Mar, erbaut von einem Schotten als sichere Burg und als Warenlager für von ihm gehandelte Waffen, Gold und Zucker genutzt, bis es König Hassan I. gelang, die Begehrlichkeiten der europäischen Mächte in Marokko abzuwehren und 1880 das Land wirtschaftliche Eigenrechte erhielt. Die volle politische Unabhängigkeit von Frankreich und Spanien erlangte das Land erst 1956.

Auch dieses Denkmal an der Strandpromenade erinnert an Antoine de Saint-Exupéry.

Bei uns gibt es Schilder, die vor Wildwechsel warnen und ein Reh abbilden; hier gibt es diese Schilder auch, aber mit dem Bild eines Kamels - und die gibt es tatsächlich über die Straße spazierend, ganz ohne menschliche Begleitung.

Etwas südlich von Tarfaya wurde 2014 ein 450 Millionen Euro teurer Windpark mit einer Leistung von 301 Megawatt in Betrieb genommen.
Marokko muss traditionell den weitaus größten Teil seiner Elektrizität importieren, auch Stromausfälle kommen deshalb immer wieder vor, 95 % der Primärenergie kommt aus dem Ausland. Das soll sich ändern. Bei Ouarzazate wurde dieser Tage das Solarkraftwerk Noor I in Betrieb genommen, das 160 MW aus 537.000 Parabol-Spiegeln holt, in zwei Jahren soll die ganze Anlage mit dann 560 MW fertig sein. Ursprünglich war Desertec ein deutsches Projekt, nach dem Ausstieg der deutschen Investoren hat Marokko das Projekt allein gestemmt.
Die gesamte Stromerzeugungskapazität des Kontinents Afrika beträgt derzeit nur knapp 150 Gigawatt - das ist etwa so viel wie in Belgien. Aufgrund schlechter Wartung, beschädigter Leitungen, Kraftstoffmangel und Diebstahl ist die Energiemenge, die tatsächlich zur Verfügung steht, sogar noch geringer, meinen Experten.
Hier ist auch die Grenze zur West-Sahara, der früheren spanischen Wüstenkolonie, die nach dem überraschenden Rückzug der Spanier eigentlich zwischen Marokko und Mauretanien aufgeteilt werden sollte, aber auch von der einheimischen POLISARIO beansprucht wurde, die von Algerien und dem Warschauer Pakt unterstützt wurde; da rief König Hassan II. 1975 zum legendären grünen Marsch: im Namen des Islam - und mit Billigung der USA - zogen 350.000 Marokkaner - ohne Waffen, den Koran schwenkend - in das Gebiet, live im marokkanischen Fernsehen übertragen. Viele POLISARIO-Anhänger leben bis heute als Flüchtlinge in Algerien, andere kehren zurück, tatsächlich wird die marokkanische Hoheit inzwischen auch international weithin respektiert. Marokko investiert hier kräftig, das Gebiet ist wegen seiner - weltweit fast einmaligen - Phospahtvorkommen wertvoll, die Regierung als Besitzer der Firma größter Phosphat-Händler der Welt.

Laayoune, die größte Stadt der Westsahara, profitiert stark von den marokkanischen Investitionen - und den Militärstützpunkten.
Eigentlich wollte ich kurz vor Laayoune im viel gelobten Camp Béduin mitten in der Wüste übernachten, aber der Diesel war mir knapp geworden: in Tarfaya hatte ich die Einfahrt zur Tankstelle verpasst - kein Problem, nach 40 km käme laut Reiseführer eine weitere; die gab's tatsächlich, früher, heute noch die kläglichen Reste; und die für das nächste Dort angekündigte - nochmals 40 km später - gab's noch nie, wie der Polizist bei der Kontrolle am Ort sagte. Den Abzweig zum Camp habe ich deshalb passiert: erstmal zur Sicherheit nach Laayoue - weitere 40 km - und tanken. Mit zwei Überraschungen: der Tankwart brachte 78,5 Liter in meinem 80 l-Tank - das war knapp! Und ein Liter kostet in der steuerbefreiten Westsahara noch 4,20 Dirham - das sind 39 Cent. 39!! Der Junge hatte sich ein ordentliches Trinkgeld verdient.
Jetzt wieder zurück? Nein: es müsste vor Einbruch der Dunkelheit noch nach Boujdour reichen. Hinter Laayoune gab es dann die ersten hohen Sanddünen und leichte Sandverwehungen auch auf der Straße.

Wie erhofft treffe ich gerade noch bei Sonnenuntergang in Boujdour ein. Der Campingplatz, von einem Franzosen aufgebaut - jetzt ist eine Schwarzafrikaner der Patron - ist mehr als ordentlich, die Sanitärs piekfein sauber, die Internetverbindung sehr gut, schattenlos, 200 m vom (verdreckten) Strand.
Tagesbilanz: 683 km, etwas weiter als von Stuttgart nach Hamburg und ziemlich genau ein Drittel meiner Sahara-Durchquerung. 8 Fiches an den Kontrollen verteilt; die druckt man sich aus mit den Personen- und Autodaten einschließlich der bei der Einreise erhaltenen Kontrollnummer, dann geht es an den Kontrollen schneller. Die Beamten sind immer sehr nett; am kuriosesten war der, der extra seinen jungen Kollegen holte, weil der Deutsch könne, dieser dann aber kein einziges deutsches Wort über seine Lippen brachte.

Auf dem Campingplatz bleibe ich noch einen Tag, um online alles abzuarbeiten. Und dabei zu lesen: der VfB Stuttgart auf Platz 11, 10 Punkte vom Abstieg entfernt, auswärts Schalke geschlagen! Sonst aber alles beim Alten: die AfD in Sachsen-Anhalt bei 17%, zig Anschläge auf Flüchtlingsheime, Merkel kommt mit leeren Händen vom EU-Gipfel - die anderen sind ebenso solidarisch, wie Deutschland es war, als andere die Flüchtlings-Probleme hatten und als Griechenland am Abgrund stand.

Und dann bummele ich auch durch diese laut Reiseführer sehr gepflegten Stadt, deren Peripherie aussieht wie nun zunehmend üblich, aber den Bauboom erkennen lässt.

Dienstag, 23. Februar

Die Fahrt geht dann weiter, immer der Küste entlang, vor der oft alte, gestrandete Schiffe liegen.

Es ist nervenaufreibend: hunderte km durchs Nichts, aber dennoch immer aufmerksam bleiben: auf den starken Seitenwind vom Meer, gelegentliche Schlaglöcher, evtl. Schnellere von hinten und selten begegnende Autos. Tramper mitnehmen ist natürlich selbstverständlich, hilft aber wenig, wenn die kein Französisch können. Hier war spanisches Kolonialgebiet, deshalb ist Französisch nur noch selten, leider auch auf den Schildern, die jetzt meist nur Arabisch sind.

Manchmal blüht auch in der Wüste etwas.

Gelegentlich stehen auch hier Fischerhütten oder -zelte oberhalb des Strandes, einmal kommt sogar ein ganzes Dorf mit geteerter Straße hinunter zum Strand …

… und so wohnen diese Menschen.

An einer Kaserne mit ein paar Häusern drumherum mache ich meinen Mittagsschlaf - bis mich eindringliches Klopfen aus tiefem Schlaf reißt: ein junger Marokkaner erkundigt sich in gutem Englisch nach meinem Befinden, weiß dass Deutschland ein reiches Land ist, Marokko dagegen nicht reich, aber auch nicht arm, will dringend einmal die Sehenswürdigkeiten in Deutschland besuchen, fragt, wie ich Marokko finde - sehr schön natürlich, und das stimmt ja wahrhaftig. Er meint, dass FORD eine amerikanisches Auto sei und ist baff erstaunt, als ich ihm erkläre, dass Transits in der Türkei gebaut werden: dann gibt es dort Industrie?, stellt er unsicher fest - der Ruf der Türkei und ihrer wirtschaftlichen Erfolge ist legendär im gesamten arabischen Raum und ich bestätige ihm jetzt, was er seither nur gehört hat. Industrie in Marokko gibt es fast nicht. Die Einladung zum Kaffee (nicht Tee!) lehne ich ab, ich muss weiter. Aber auf seine Frage nach meiner E-Mail-Adresse gebe ich ihm meine Karte - jetzt hat er ersten Kontakt ins reiche Deutschland! Und ich heiße mit Vornamen Ökumenisches und mit Nachnamen Heiligenlexikon, klar doch.

Wenn man dann meint, öder könne es nicht werden, wird man doch noch eines besseren belehrt. Der Wind bläst reichlich Sand auf und über die Straße, man hat teilweise Mühe, ihren Verlauf zu erkennen, es ist wie bei Nebel. Der Mund trocknet aus, ob vom Sand oder dem salzhaftigen Atlantik-Wind weiß ich nicht, es ist wohl beides. Verkehr gibt es schon seit Boujdour kaum noch, einschlafen sollte man dennoch nicht. Es ist so öde.
So langweilig.
So gleichförmig.
So ereignis- und abwechslungslos.
So einschläfernd!
Radio gibt es nicht, von CD höre ich in Dauerschleife die Stones, zum Wechseln müsste ich anhalten.
Immer dasselbe: optisch und akustisch.
Aber die Temperaturen sind dank des Atlantikwindes sehr angenehm.
Die Nacht verbringe ich an der vorletzten Tankstelle vor der Grenze in Lamhiriz, damit ich am Vormittag den Übertritt schaffe, aber nicht zu früh, weil da der Andrang groß sei. 79 km Marokko liegen noch vor mir …
Tagesbilanz: 573 km, nur 2 Fiches - gestern hatte ich extra Nachschub gedruckt -, weil die kontrollierenden Polizisten (sie können Französisch) zwar gerne ein Schwätzchen halten, aber nicht mehr danach fragen; wer es soweit geschafft hat, wurde ja schon oft kontrolliert. Und jetzt liegen zwei Drittel der Sahara hinter mir, juchu!

Mittwoch, 24. Februar

Am Morgen bin ich schnell an der Grenze. Auf der marokkanischen Seite das Üblich: warten, Passkontrolle, warten, Zollkontrolle, dann zum Austragen der Einreisegenehmigung, warten, nochmals zu anderem Zoll, der die alles in ein Buch einschreibt, warten, eine letzte Ausreisekontrolle - nach einer knappen Stunde ist alles erledigt. Dann kommt das berühmte Niemandsland, 4 km ohne Aspahlt bis zur mauretanischen Grenze. Es gibt aber eine klar erkennbare, sehr steinige Piste, man darf sie nur nicht verlassen, das Gebiet ist vermint. In vielen Blogs wird beschrieben, wie schwierig das sei und werden die Autowracks aus dem Niemandsland gezeigt - nur sie sind nicht, wie oft insinuiert, Minenopfer, sondern hatten clevere Besitzer: wenn man sein Auto nicht mehr aus Marokko ausführt, muss man es verzollen, etwa 50% des Neu(!)preises; also lohnt es sich, es nach finaler Panne oder Unfall bis hierher transportieren zu lassen, dann ist das Fahrzeug ausgereist. Und im Niemandsland kann niemand das Abstellen verhindern.
Ich hatte ein anderes Problem: trotz eigentlich felsigem Untergrund steckte ich plötzlich in einem Weichsandstück - und kam gerade noch heraus. Also nahm ich das nette Angebot eines Guides an, der mich - nun sicher gezielt! - in ein Weichsandfeld lotste, ich war so blöd, mich auf ihn zu verlassen. Da half kein Schieben und kein Buddeln, auch nicht der von ihm theatralisch aber natürlich völlig nutzlos eingesetzte Wagenheber, schließlich holte er einen Pickup und zog mich raus. D. h.: vor dem Ziehen nannte er seinen Preis: 50 €. Meine Verhandlungsposition war schlecht, noch steckte die Kiste im Sand, also schlussendlich 35 €. Den Rest des Weges habe ich gerne auf seine Hilfe verzichtet. Man braucht wirklich keinen Wegweiser.

Die Grenzen darf man natürlich nicht fotografieren, aber doch direkt nach dem letzten Schlagbaum das Geschäftszentrum …

…und die letzte Kontrollstelle.
Gerne habe ich den Schlepper an der mauretanischen Grenze in Anspruch genommen; mit dem kann man vorher verhandeln, er ist dann die 10 € Wert: er beherrscht Englisch und weist durch die Büros, erledigt einiges während ich noch im anderen Büro warte; so habe ich nach einer Stunde alles hinter mir. Ein mehrsprachiger Fachmann mit Wissen, das ich nicht habe - für so etwas, Berater genannt, bezahlt man bei uns Stundenhonorare von bis zu 200 €; der überall nachzulesende Ehrgeiz, es ohne zu schaffen, ist ein mir unverständliches Hobby.
120 € fürs Visum - ein Monat gültig, aber nur für eine Einreise, auch da liest man, man könne mehrmalige Einreise aushandeln, mir war das nicht möglich, dazu 5 € Zuschlag, offenbar Schmiergeld, dann 10 € FÜR DIE Ehrenerklärung, dass man sein Auto wieder ausführt, und schließlich 40 € - nicht verhandelbar, es sei ein großes Auto - für die KfZ-Versicherung - das ist viel, aber teilweise wird geschrieben, sie werde schon vor Nouâdhibou kontrolliert und ihr Fehlen mache Ärger - bei mir kontrollierte keiner.
An den drei Stellen wurde der Inhalt des Autos kontrolliert - oberflächlich: Schränke auf, Schränke zu. Jedesmal die Frage nach Alkohol, der ist hier verboten. Einem habe ich erklärt, ich sei Christ und es sei bei und Passionszeit ähnlich wir Ramadan, worauf er mit freundlichst auf die Schulter klopfte, mich lobte und meint, wir hätten schließlich alle doch nur einen Gott - Dieu. Der Beamte im Passbüro nützte die Chance, dass wir für eine Minute alleine waren und fragte nach einem Geschenk - ich bot ihm Dirham, die wollte er nicht. Der letzte Zöllner fragte, ob er meine Ersatzbrille haben könnte, er habe schlechte Augen - sie lag ganz vorn im Schrank. Die könnte ich aber noch selbst brauchen. Insgesamt aber: alles sehr korrekt und zügig.

Die Sahara ist jetzt wirklich sehr sandig, die Luft auch. Nach wenigen Kilometern kommt an der Abzweigung nach Nouâdhibou die erste Raststätte …

… und dann, nach 50 km reiner Sandwüste und einigen Kontrollen mit den obligatorischen Fiches und in einem Fall vier Bechern Joghurt - cadeaux pour ma famille? - die ersten Stadtrandsiedlungen. Die hockende Dame verrichtet offenbar gerade ihre Notdurft; ich hatte heute morgen noch mich bedauert, weil ich in Lamhiriz erstmals keine Sitztoilette hatte.
Der Zaun begleitet die legendäre Eisenbahnstrecke nach Zouerat.

Die Hauptstraße in Nouâdhibou. Ich suche die Herberge Baie de Lévrier - Campingplätze gibt es hier nicht mehr, aber Herbergen mit Stellplatz -, fahre deshalb mehrmals durch die Stadt, aber die Herberge gibt es nicht mehr. Während in der Hauptstraße alles noch recht proper aussieht, sind die Nebenstraßen ein Gewirr von Unterkünften aus Stein, Sand, Müll und Menschen auf der Straße. Ich fotografiere nicht, käme mir voyeristisch vor. Von Dritter Welt und Armut zu lesen und fernzusehen ist das eine, es live zu erleben etwas anderes! Ich bin schockiert, verunsichert, ratlos, schäme mich ob meines Reichtums.
Die Welt sei im dritten Weltkrieg, sagt Papst Franziskus, der die Slums aus Buenos Aires kennt. Und Bert Brecht sagte: Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.
Mopeds wie in Marokko hat hier keiner, Mauretanien - dreimal so groß wie Deutschland, aber praktisch nur Wüste - hat knapp 4 Mio Einwohner, ein BIP von 1.127 $ pro Einwohner pro Jahr - das ist ⅓ dessen von Marokko - und liegt damit auf Platz 154 (ein Platz vor Senegal). Nouâdhibou ist ist die zweitgrößte Stadt, der größte Hafen und Dank des Hafens das wirtschaftliche Zentrum des Landes.

Der Besitzer von Baie de Lévrier habe vor der Stadt an der eben genannten Bucht eine neue Herberge mit Stellplatz eröffnet, steht im Reiseführer. Auch die gibt es nicht, sondern stattdessen an dieser Stelle eine Aufzuchtstation für Delphine. Aber ich habe mich entschieden, für diesen Fall an der Grenze zu übernachten, dann habe ich diese 50 km morgen schon hinter mir. Zunächst muss ich aber Luft in die Reifen bringen, denn auch die hatte mein freundlicher Helfer gestern im Sandloch abgelassen. Am Stadtausgang gibt es eine große Tankstelle, aber Luft? Nein gegenüber! An der kleinen Tankstelle? Nein, andere Straßenseite - na klar, da ist der Reifenhändler. Er hat einen Luftschlauch, füllt ein, hat einen Druckmesser, damit prüft er - irgendwann ist der gewünscht Druck erreicht.

Und dann komme ich etwas außerhalb an den Bahnhof der Stadt, wo gerade der berühmte Zug hält. Er bringt seit 1963 Eisenerz aus Zouerat mitten in der Sahara nach Nouâdhibou in den Hafen und nimmt auch Passagiere - im Abteilwagen gegen Entgelt, oben auf den Erzwaggons umsonst, Ladung, Wasser und Autos mit, denn eine Straße in den Osten gibt es nicht. Der 3 km lange Zug hat über 200 Wagen, 22.000 Tonnen Ladung, drei oder vier Lokomotiven und braucht 16 Stunden für die 700 km. Alle 100 km ist - genau wie an der Straße - eine Station, die den Sand von der Strecke räumen muss; der wird hier so aggressiv von Ost nach West geblasen, dass die technischen Teile des Zuges nur 1/6 der normalen Lebenszeit haben.
Meine Kiste zickt (noch?) nicht.

Die Zugstrecke zieht an ihrer Linie wirtschaftlichen Fortschritt nach sich: hier ein Viehmarkt.

Donnerstag, 25. Februar

Am nächsten Morgen - nach ruhiger Nacht, da ist die Grenze zu - nehme ich einen Tramper mit, der auch nach Nouakchott will: einen LKW-Fahrer, der offensichtlich seine Papiere nicht in Ordnung hatte und deshalb in die Hauptstadt muss. Er fährt regelmäßig Mauretanien - Marokko, sein Land importiert von dort die meisten der Lebensmittel, denn im Land wächst ja fast nichts.
Er spricht leidlich Englisch, ist verheiratet, hat einen dreijährigen Sohn, warnt mich eindringlich vor Mali plenty of problems und imitiert ein Gewehr, meint, das sei auch in Syrien, Libyen, Irak, Saudi Arabien - wo er auch schon gearbeitet hat - und im Jemen so. Senegal sei schön, aber alles Verbrecher, man müsse sehr aufpassen.
An welcher großen Moschee mitten im Nirgendwo wir da vorbeifahren, weiß er nicht, obwohl er die Straße wie im Schlaf kennt, mich rechtzeitig vor jedem der wenigen Schlaglöcher warnt.

Die beste - und fast einzige - Tankstelle auf den 473 km Fahrt durchs Nichts nach Nouakchott, die anderen hätten schlechten Diesel.
Die beiden schönen und neuen (!) Kleinbusse, die uns über hunderte km schon begleiten - es gibt keine Geschwindigkeitsregeln, weder für Landstraßen noch die Stadt, man fährt 100 - sind von Khalifa-Transports, offenbar eine Art Pilgerfahrt. Man stelle sich vor: so eingeladen in Luxus pur, da akzeptiert man vielleicht auch radikale Botschaften …

Nach über 200 km reinster Wüste mit ständigem Ostwind, der die Sicht nimmt und immer wieder Teile der Straße bedeckt, kommen wieder öfter Büsche, vereinzelt sogar Bäume: Trockensavanne. Und mitten drin siedeln und leben Menschen.

Gelegentlich kreuzen Kamele - nein: einhöckerig: Dromedare - immer ohne menschliche Begleitung; mein Beifahrer erklärt, sie seien nicht wild, der Besitzer sei hier irgendwo in den Weiten.

Stehpinkeln ist für Muslime kein Thema, man hockt - schon wegen des Windes.

100 km vor Nouakchott gibt es einige Hügel und direkt an der Straße diesen Salzsee.

Und dann habe ich die Hauptstadt erreicht und die Auberge Sahara

… direkt an der Hauptstraße, die auch hier noch voll von Sand ist.

Die alten Mercedes-Kurzhauber sind hier häufig, beliebt auch bei Travellern, weil unkaputtbar. Ja, das war noch gute deutsche Wertarbeit. Tempi passati …

Die Tracks:
Boujdour
Lamhiriz
Nouâdhibou
Nouakcott fehlt mal wieder

geschrieben am 22., 23., 24. und 25. Februar 2016


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