Freitag, 31. Mai
Die Nacht verbrachte ich nahe Mardin in einem Dorf neben der Moschee; auch die Gänse begaben sich zum Schlafen nach Hause.
Am Morgen besuchte ich dann das berühmte Kloster Deyrulzafaran
. Ich erwartete einige einsame, in der Diaspora
verbitterte und vereinsamte Mönche. Und fand: ein blühendes Tourismus-Unternehmen! Als ich - recht früh morgens - kam,
war der Parkplatz - wie man sieht - schon gefüllt, als ich ging war er übervoll.
Gestylte Aufseher, Souvenirshops, Kaffeehaus, Kartenhäuschen, der Eintritt für hiesige Verhältnisse stolze 2,40 € - das Museum in der Stadt kostete 80 Cent.
Die Besichtigung wurde von einem Führer - einem sichtlich gelangweilten Studenten - begleitet, dessen Englisch mäßig war. Die großen Klosterbauten: alles vom Feisten!
Die Unterkirche stammt in Teilen noch aus dem heidnischen Heiligtum der Sonnenanbeter, das an dieser Stelle stand.
Im Bau darüber gibt es die Steinsarkophage mehrerer Patriarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche; bis 1933 haben sie hier gewohnt, während die Kirche in Diyarbakır ihre Hauptkirche war; seitdem sitzt der Patriarch in Damaskus.
Die Kirche selbst ist klein.
Das einzige Fresko zeigt den Klostergründer.
Der Stuhl des Patriarchen in der Kirche.
Der Maria geweihte Altar in der Nebenkirche.
Hier auch zu sehen: die erste Druckerpresse, die es weit und breit gab, mit der der Patriarch seine Schriften publizierte ...
... und eine seiner Sänften.
Dieser Raum ist zugleich die Taufkapelle, Taufen finden immer am 15. August, dem Feiertag Hinübergang Mariä, statt; der Taufstein stamme aus dem 4. Jahrhundert.
Alle meine Mitbesucher sind außer einem älteren Ehepaar Türken.
Ich kann die große Anlage gar nicht auf ein Foto bannen - zum Glück gibt es am Eingang das Gesamtbild - natürlich auch zu kaufen. Ich bin hin- und her gerissen vom Eindruck der alten Würde und Geschichte des Ortes und dem Erlebnis des für Touristen perfekt inszenierten Events. Jedenfalls: dass es den Christen in der Türkei heute schlecht gehe, kann mir keiner mehr erzählen.
Ich fahre wieder hinab in die weite Ebene des Zweistromlandes, nach
Dara.
Von der alten Stadt sind aus dem Fels geschlagene Gemächer übrig.
Und: ich erlebe, wie ein türkischer Kleinbus hier gerade seinen Müll ablädt.
Eingezäunt ist etwas weiter die ehemalige Nekropole. Am Eingang weist ein Schild darauf hin: sollte jemand Eintritt verlangen, solle man die Polizei benachrichtigen. Als ich komme, wirbt der Besitzer des Teehauses daneben mit seinem Çaj - kein Bedarf. Als ich drin bin, bietet er mir Andenken an - Danke, nein. Kurz darauf kommt er wieder: ich müsse jetzt gehen, er müsse jetzt abschließen - um 11.30 Uhr. Aber Eintritt hat er nicht verlangt.
In der Römerzeit bestand die Stadt weitgehend aus den aus dem Stein geschlagenen Räumen. Die Byzantiner errichteten dann um 500 hier eine große Festung gegen die Perser, sie war mit 3 Meter dicken Mauern umgeben, die eine Gesamtlänge von 4 km hatten; vor der Mauer gab es vorgelagerte kleinere Festungen; die strategische Situation war in der Ebene sicher schwierig. Das Wasser wurde auf einem Damm hergeleitet aus den Bergen und in Zisternen gesammelt. Mehrere Kirchen sind nachgewiesen. Die alten römischen Behausungen wurden nun als Nekropole verwendet.
Dieser Rest eines dreistöckigen Gebäudes hat das Symbol der Auferstehung von den Toten über dem Eingang. Innen ist ein Relief, das Ezechiel mit Flügeln darstellt, über ihm schweben Engel und greift die Hand Gottes nach den Toten. Ein Lebensbaum beinhaltet auch Maria mit dem Jesuskind.
Vor einer Grabkammer wie dieser sind auf der Erläuterungstafel Bibelzitate aus Ezechiel 37 zu lesen.
Neben vielen Felsengräbern gibt es einige Einzelsärge.
Die Ebene des Zweistromlandes ist Baumwoll-Anbaugebiet. Man kann sehen, was so ein Ford Transit verkraftet!
Ich fahre dann direkt an der Grenze zu Syrien entlang nach Nusaybin. Anhalten zum Fotografieren traue ich mich nicht, es ist viel türkisches Militär unterwegs. Hinter dem Zaun sieht alles aus wie davor, und doch weiß ich: dort ist immer noch Krieg, sterben täglich Menschen!
Rätsel: was ist das - mitten in der Stadt?
Nusaybin war einst
Nisibis, ein Zentrum des Christentums. Als erster Staat - noch vor Armenien, das den Anspruch erhebt, als erster Staat und
vor der konstantinischen
Wende das Christentum als Staatsreligion eingeführt zu haben - führte im Jahr 246 das Königreich Nisibis das Christentum
als Staatsreligion ein. Jakob von Nisibis war
dort Bischof. Ephraem der Syrer wurde
dort geboren und wirkte als christlicher Lehrer, Dometios
von Persien lebte hier in einem Kloster,
Febronia starb als Märtyrerin in der Zeit
der Christenverfolgungen.
Auflösung des Rätsel: ein Brotbackofen.
Von der stolzen Geschichte ist nichts übrig, die Stadt ist gesichtslos, heiß, schwül, staubig. Nur rund 50 km weiter
südlich beginnt in Syrien die Sandwüste. Selbst eine Tankstelle zu finden, die Diesel hat, ist schwierig. Schnell weg!
Etwas nördlich liegt das berühmte Kloster Mor Gabriel, schon wieder in fruchtbarem Bergland. Auch hier: alles vom Feisten!
Das Kloster wurde 397 gegründet, hatte zeitweise mehr als 400 Mönche und war das Zentrum der im Mittelalter mehr als
80 Klöster in der Region - dem Bergland Tur Abdin
, dem Berg der Knechte Gottes
. Noch heute lebt in der Region
eine Minderheit von einigen Tausend
Syrisch-Orthodoxen Christen, einige der
Klöster sind in Funktion - der Tur Abdin ist bis heute ein Zentrum des Christentums in der Türkei.
Die große Kirche ...
... und der Altar aus der Nähe.
Georg ...
... und der Auferstandene.
Noch einmal die Kirche mit ihrem herrlichen Gewölbe. Hier: kein Eintritt, keine Ausrichtung auf Touristen, keine Geldmacherei, sondern Stille, Raum zur Andacht, nette, aufgeschlossene Helfer.
Nur schwer zu erkennen: halbrechts das Kloster, in der Mitte ein großer Turm im Zentrum des riesigen Areals, das von der bis an den linken Bildrand reichenden Mauer umgeben ist.
Ich fahre weiter in kleine Dörfer im Tur Abdin, zunächst zum Kloster Mor Kyriakos in Bağlarbaşi; an dessen Mauer steht ein Pferd ...
... und ein Esel.
Sonst ist wenig zu Erkennen ...
... außer diesem wundervollen (!) Spielplatz an der Klostermauer.
Im nächsten Dorf, Altintaş: das Kloster Mor Azazael.
Das Dorf ist keine Metropole. Aber vor dem Kloster müssen drei Schüler unter Aufsicht des Dorfschullehrers als Strafarbeit den Vorplatz putzen und fegen. Woher ich weiß, wer die waren? Weil Schüler und Lehrer sich offenbar überall gleich verhalten, sprach die Situation eindeutig für sich.
Am Abend geht es immer weiter in die Berge. Staub, Hitze liegen hinter mir, ich atme - buchstäblich - auf und durch. Den schlimmsten Teil der Türkei habe ich hinter mir ...
... und komme ins Tal des Tigris hinunter in ein Städtchen, das seinen Namen seinen tausenden Höhlen verdankt:
Hasankeyf, assyrisch
Kefafe
, die Höhlenstadt
. Sie liegt an einer Engstelle, an der der Tigris sich schmal durch die Felsen zwängt.
Von der alten Brücke über den Tigris aus dem 12. Jahrhundert sind Reste erhalten.
Jede Menge Höhlen. Dass Adam und Eva hier lebten, ist nicht überliefert - aber irgendwo in der Nähe ... Gesichert ist die Besiedelung im 9. Jahrhundert v. Chr. Die Römer bauten den strategisch wichtigen Platz aus. Auch von urchristlicher Geschichte weiß ich nichts, aber sicher ... Gewiss ist, dass der Ort von syrischen Christen bewohnt war, 640 kamen Muslime, 1260 zerstörten Mongolen die Stadt, 1517 wurde sie dem ottomanischen Reich eingegliedert.
Ich folge dem Tal des Tigris ...
Samstag, 1. Juni
... und fahre am nächsten Morgen weiter durchs bergiges Land.
Im schönen Bergstädtchen
Bitlis parke ich, um
am Automaten Geld zu holen - direkt neben meinem Parkplatz sitzt ein Polzist, das habe
ich übersehen. Parken sei nicht erlaubt - nach einigen freundlichen Gesten eben doch. Als ich zurückkomme, zeigt er mir:
an meinem Vorderrad fehlt eine der fünf Radmuttern. Jetzt weiß ich, was gestern Abend kurz metallisch geklappert hat und
dann plötzlich wieder zuende war! Das ewige Geruckel und die unzähligen Schlaglöcher haben ihren Tribut gefordert, dabei
hatte ich vor der Abfahrt den festen Sitz der Radmutter noch selbst überprüft.
Die Straßen in der Türkei sind meist wirklich gut - besser als z.B. in Italien: zwischen den Städten fast ausschließlich
breite, 4-spurige Straßen; es ist kaum Verkehr, überholen also kein Problem, man kommt richtig schnell voran. Aber so ganz
eben sind die oft auch nicht. Und ich fahre auch viele Nebenstraßen und in kleine Dörfer, wo es unendlich viele Schlaglöcher
gibt oder nur Schotterstraßen.
Ich suche noch einen Bäcker für mein Abendessen und finde unterwegs auch einen Tisch an der Straße, auf dem Zigaretten verkauft werden; seit Diyarbakır weiß ich: das sind geschmuggelte Zigaretten, die Warnaufschrift - auf allen türkischen Zigarettenschachteln vorhanden wie in der EG, aber zusätzlich mit den von der EG vorgeschlagenen, aber von unserer Bundesregierung abgelehnten Warnbildern - ist hier Englisch, und sie kosten statt 3,60 € nur 2 €. Also halte ich ihm die 5 Türkische Lira hin, er schaut verdutzt - der weiß noch nicht, dass ich in der Türkei angekommen bin! -, aber akzeptiert. Ich bin mit mir zufrieden - auch deshalb, weil an meinem Ausbau anders als am Rad noch alle Schrauben halten: ich habe besser gearbeitet als FORD!
Vier Radmuttern reichen, meint der Polizist unter Zustimmung aller Anwesenden. Hilfe? Gibts vor der Stadt. Ich sehe eine
kleine Werkstatt, davor ein Transit; ob hier? Nein, weiter vor der Stadt. An einer großen Tankstelle: Radmutter hat er keine,
aber er will den Sitz der anderen Muttern prüfen. Habe ich zwar schon, will er aber dennoch. Nur: wo ist sein Radkreuz?
Kollege fragen, Mitarbeiter herbeirufen, Chef anrufen. Der kommt, aber wo ist das Radkreuz? Inzwischen habe ich meines - im
hintersten Winkel der Kiste verstaut - ausgepackt. Drei Männer prüfen: alles ok - wusste ich. Vier Muttern reichen
- na ja. Ich wechsle wenigstens eine Mutter vom Hinterrad nach vorn. Im nächsten Dorf eine Überraschung: am Rande eine
ganze Reihe neugebauter Werkstätten, hier versuche ich es. In einer Autoteilehandlung gibt es tatsächlich vieles, aber keine
Radmuttern. Aber vier Werkstätten weiter. Radmutter? Telefon! Çay? Nach 10 Minuten kommt ein Auto mit drei Radmuttern, eine
passt; nur wo gibt es in dieser Autowerkstatt einen Radmutternschlüssel? Der Besitzer sucht, fällt vom Stuhl, sucht weiter,
drei Kollegen suchen mit, der Autofahrer unterhält sich mit mir. Wir verstehen nichts, aber uns - wie so oft in den allzumeist
herzlichen und interessierten Geprächen. Dann ruft einer das türkische Heureka!
, auch alle anderen Radmuttern werden
wieder überprüft. 2 € - zuhause habe ich pro Stück dereinst mehr als 10 € bezahlt. In den türkischen Transits haben sie
andere verbaut, erklären sie mit - die wissen, warum. Kurz danach will ich etwas aus einem Schrank holen - und mir kommt
mein erstes Holz entgegen. Also: nicht besser, aber ebensogut wie FORD! Und ich habe mein Werkzeug dabei.
Kurz vor Muş begrüßen
mich Schneeberge. Und die vor Städten übliche Kontrolle der Jandarma
, der militärisch organisierten Polizei ähnlich
der Carabinieri
in Italien. Aber zum ersten Mal werde ich nicht durchgewunken. Ford Transit mit Dachständer: sieht
aus wie ein Türke. Ist aber keiner. Wie ein Tourist sieht er aber auch nicht aus: alleine, und mit Auto (Touristen kommen
hierher als Ehepaar und per Flugzeug, um dann in einem türkischen Omnibus als Gruppe zu fahren). Also: Passaporte!
In ihrem Auto elektronisch überprüft. Mit den Kollegen beraten! Plötzlich hat einer eine Idee: einige türkische Worte,
darunter Foto
. Ich soll die fotografieren?? Also nehme ich das Gerät vom Beifahrersitz - und damit ist alles klar:
hat den Foto griffbereit, ist also doch Tourist! Gute Fahrt
- oder so etwas ähnliches.
Zum Foto von der Altstadt-Moschee in
Muş vor den
Schneebergern muss ich erzählen, wie das hier mit der Sicherheit ist: unaufdringlich, aber allerorten stets parat. Als ich
von Sanlıurfa am Abend
gen Norden auf der Autobahn fuhr, kam mir die Idee: demnächst kommt der Flughafen - das wusste ich von der Hinfahrt. Der
ist nagelneu, dort könntest du gepflegt auf die Toilette. Also die Ausfahrt genommen - und: am Schlagbaum angehalten. Häuschen
wie an einer Grenze, Jandarma. Was ich im Flughafen wolle? Na ja ... etwas kaufen, antworte ich. Passaporte
, auf den
Computer gelegt - der Schlagbaum geht auf. Am riesigen nagelneuen Gebäude an einer Tür ein paar Menschen - sagenhafte
zwei Flüge finden an diesem Tag noch statt - dort muss es sein, da gehe ich hinein - obwohl - auch englisch -, Ausgang
draufsteht. Hinter der Tür der Security-Mann: Eingang 150 Meter weiter - dort - wo kein Mensch ist. Also gut, gehe ich hin,
steht auch Eingang
drauf - ich bin meinem Ziel nahe! Direkt hinter der Tür die elektronische Sicherheitskontrolle:
Ticket please!
Dann eben nicht, ich hab selber ein Klo, und die riesige Flughafenhalle bleibt leer.
In Muş ist es angenehm kühl, nur 28° im Schatten; ich fahre in eine Neubauviertel in den Schatten eines Hochhauses zum Mittagsschlaf - endlich wieder 'mal! Dass Rentnerleben Stress ...
Besuch bekommt man hier auch zwischen den Hochhäusern ...
Nahe Muş
gibt es in der der großen Hochebene gegenüber liegenden Bergkette die Ruinen des Surp Karabet
-Klosters mit
der Çangilli-Kirche, in der - jedenfalls nach der örtlichen Überlieferung -
Johannes der Täufer bestattet wurde; dort
will ich am Nachmittag hin. Meine Karte und mein Navi sind sich nicht ganz einig - ich werde es finden und fahre eine
schmale, aber mit gutem Belag versehene Straße in die Berge; das Wetter wird schlecht, ferne Blitze zucken, die
Landschaft ist großartig und es ist angenehm kühl.
Nach herrlicher Fahrt durch die Berge komme ich in ein Dorf, das so ähnlich heißt wie das auf der Karte; kurz davor ging ein Weg ab, das stimmt mit der Karte überein - da müsste das Kloster sein. Irrtum, also den Weg rückwärts zurück; bei der Abzweigung passe ich nicht auf, fahre mit dem Hinterrad in ein tiefes Loch und stecke - schnell wird klar, da komme ich nicht mehr 'raus. Also auf ins gar nicht so weit entfernte Dorf und Hilfe holen! Nach fünf Schritten sehe ich einen Traktor auf mich zukommen: Glück gehabt! Er ist mit vier starken Männern besetzt! Sie holen eine riesige Kette, der Traktor zieht mit lauten Krach - geschafft! Aber wo ist das Kloster? Sie schauen auf die Karte, diskutieren, diskutieren, malen eine Skizze, diskutieren weiter. Einer kommt auf eine Idee: er zeigt es mir, wenn ich ihn anschließend ins Tal fahre, wo sie hinwollten. Klar! Ein zweiter erkennt die Chance und steigt auch ein.
In meiner Kiste gibt es den Fahrer- und einen Beifahrersitz. Seit unserer Pilgerfahrt weiß ich: in der Kiste können auch drei sitzen, man stelle einen meiner Campingstühle in die Mitte. Und wenn bei drei Insaßen ein Wegweiser mit muss, stellt er sich geduckt daneben. Auch fünf Tramper sind kein Problem, mein Bett ist groß. Und jetzt haben zwei Männer auf einem Beifahrersitz locker Platz; wenn ich schalten muss - auf der schmalen, steilen Bergstraße muss ich das oft -, nimmt er seinen Fuß in die Hände. Schade nur, dass das Internet noch keine Gerüche übertragen kann ... Wir fahren durch das Dorf, sie sitzen neben mir und grüßen ihre Bekannten, winkend wie Könige aus der goldenen Kutsche. Es geht weiter hoch in die Berge, der Triumphzug erfährt im Nachbarort noch eine Steigerung. Dann erreichen wir das Ziel: auf diesem Berg, fast 2000 m hoch.
Hier? Keine Ruine? Ich fotografiere also meine Retter, Begleiter und Führer, die Könige für diesen Nachmittag.
Und dann noch das Panorama.
Es gebe noch eine andere Kirche, die könnten sie mir auch zeigen. Danke, nein (kein Bedarf
mehr), zurück ins Tal! Worüber unterhält man sich mehr als zwei Stunden, wenn einer kein Türkisch und zwei kein Deutsch
können? Klar: Almanya - Daumen hoch! Türkiye
? - mein Daumen hoch! Die Kinder: der eine hat vier, der andere
offenbar noch keine - ich habe auch vier! Anerkennendes Nicken. Verheiratet - zwei Finger parallel -? Geschieden - zwei
Finger gekreuzt -! Großes Verständnis! Fenerbahçe
- Christoph Daum
. Bayern - Dortmund
! Da fällt mir ein,
dass ich noch immer nicht das Ergebnis des Championsleague-Finales kenne. * Ich frage, sie verstehen
nicht. Unten im Tal komme ich um die Einladung zum Çaj nicht herum; er hat uns mit dem Handy angekündigt.
Als wir das Haus betreten, sehe ich den Rücken einer Frau, die in der Küche verschwindet. Ein etwa 12-jähriger Junge und
zwei deutlich jüngere stehen im Flur, freuen sich, als ich ihnen die Hand gebe. Der Hausherr, der andere Helfer, der Junge und
ich nehmen im mit Teppichen audgelegten Wohnzimmer Platz: eine Couch für die Gäste, gegenüber 5 Sitzkissen der Wand entlang
am Boden. Das etwa 10-jährige Mädchen lehnt mit dem Rücken am Türbalken, wagt manchmal einen Blick ins Zimmer, wendet sich
aber sofort verlegen ab, wenn ich in ihre Richtung schaue.
So sitzen die zwei männlichen Gäste auf der Couch, Hausherr und Sohn auf den Sitzkissen. Die kleinen Kinder dürfen kurz
ins Zimmer, aber nicht stören. Die Frau ist unsichtbar, das Mädchen jedenfalls so gut wie. Der Sohn könne Englisch - kein
Wort! Als wir über meine Reiseroute sprechen - Städtenamen, das verstehen alle - will der andere mir sagen, dass es in Van,
wo ich hin will, guten Fisch gibt. Also fragt er das Mädchen nach dem Wort - fish
kommt aus dem Türrahmen!
Zweimal fragt der Hausherr lauthals in Richtung Küche, wo der Tee denn bleibe - wobei das Wort Frage
für den
Tonfall nicht angemessen ist; in der Türkei haben Männer noch etwas zu sagen! Schließlich bringt das Mädchen
das Silbertablett mit Kanne und Gläsern bis zur Tür, ruft ihren Bruder, der serviert. Ich komme auf die Idee, meine
Begleiter noch einmal zu fotografieren; eigentlich will ich aber das Zimmer im Bild festhalten. Sie freuen sich - der Junge
muss das machen, ich muss mit Aufs Bild! Also gibt es hier nur die Couch zu sehen. Ich verspreche, ihnen die Bilder zu
schicken, sie freuen sich, der Triumphzug der Könige wird seine Fortsetzung finden! Er fragt, wie weit es von
Ístanbul nach Almanya
sei. Ich antworte: drei Tage. Von hier nach Ístanbul seien es zwei, meint er, und strahlt zufrieden: er bekam offenbar
bestätigt, was er schon immer vermutete: dass dieses ganze Europa eigentlich auch nicht größer ist als seine stolze Türkei!
Als ich den Absprung schaffe, eilt die Hausfrau herbei, zieht sich das Kopftuch vors Gesicht und stellt uns die Schuhe -
die wir natürlich ausgezogen hatten - bereit. Der andere will mitfahren - wohin? Drei Häuser weiter! Man sagt mir nach,
dass ich oft auch für kurze Wege das Auto benutze - das kann ich nicht als üble Nachrede bezeichnen; aber türkische
Autobesitzer fahren jeden, aber auch jeden Meter!
Auf der Rückfahrt prüfe ich, ob der Zughaken vorne noch ganz ist, der Ruck beim Schleppen war gewaltig. Er ist noch dran. Beim Händewaschen aber kommt mir mein Abwasser entgegen, der Schlauch ist locker. Dann eben: ich habe fast so gut gearbeitet wie FORD!
Am Nachmittag hatte ich an
einer Ausfallstraße in Muş
eine große FORD-Werkstatt entdeckt, da will
ich am Montag hin. Vielleicht können die auch meinen Turbo reparieren - in den Bergen ist es lästig ohne. Und dazu fand
ich im großen Gebäude nebenan offenes Internet. Also hier werde ich arbeiten und die Nacht verbringen. Als ich abends
wieder ankomme, dröhnt laute Musik aus dem großen Haus, einige Männer stehen vor der Tür. Darüber: DÜGÜN SALONU
.
Was ist das, im Industriegebiet vor der Stadt? Ein Spielsalon? Ein Männertreff? Ein Puff? Aber ich habe ja Internet, das
kann türkisch: ein Hochzeits-Salon! Bald treffen die ersten Gäste ein, nach zwei Stunden gegen 21 Uhr das Brautpaar - sie
ganz in weiß. Feuerwerk. Immer mehr Autos, große Busse, kleine sowieso, die Ausfallstraße ist zugeparkt. Hunderte Menschen.
Bald kommt der erste an meine Kiste, fragt auf Deutsch. Dann der nächste, lädt mich ein - Teşekürler - no
. Einer
rüttelt an der Kiste, ich steige aus: Deutschland ist Sch ..., alles schlimm
; dem waren wir keine guten Gastgeber.
Dann eine Gruppe junger Männer, sehr freundlich. Plötzlich geht meine Tür auf, erneute Einladung, erneute Ablehnung; fünf
Minuten später bringt er Tee und Kuchen - lecker! Ich habe Zweifel, ob ich in dieser Nacht schlafen kann, aber nachts einen
anderen Platz finden? Dann ist um 23 Uhr der ganze Spuk plötzlich zuende! Der Besitzer kommt mit Gefolge und wünscht eine
gute Nacht, lässt noch einen Tee bringen. Die gute Nacht werde ich jetzt haben, auch wenn es verdammt kalt ist: 18,5° um
Mitternacht auf 1500 Meter ü. d. M.
Sonntag, 2. Juni
Bleibt nachzutragen, dass kurz darauf der Nachtwächter der nebenliegenden Firma kam, sich mit der Aufschrift auf seiner Jacke vorstellte, sein Gewehr zeigte und mir mitteilte, er werde auf mich aufpassen. Und mich dann noch in die Toilette führte, falls ich ...
Am nächsten Tag - es ist Sonntag, starte ich den nächsten Versuch, das Kloster zu finden. Was soll ich lange erzählen:
weder Landkarte noch Open-Street-Maps-Navi helfen wirklich; 154 km durch Dörfer am Bergrand; viele Zusammenrottungen von
Türken, die alle nicht wirklich eine Landkarte lesen können - auch die jüngeren nicht: ein Tipp für den türkischen Lehrplan
- und keine Ahnung haben von einem Kloster, einer Kirche oder gar Surb Karapet
**, aber wortreich
helfen wollen.
Viele Einladungen zum Çay; zwei Deutsch sprechende Türken - einer seit 45 Jahren in Berlin-Spandau, derzeit auf Heimaturlaub, der andere aus Berlin-Tempelhof; ein Französisch sprechender aus Lyon; ein Englisch sprechender am Handy; bald ein ständiger Begleiter, wechselnde zusätzliche Führer und schließlich:
In dem Dorf Yücetepe: ein Stall.
Der Stall war einmal eine Kirche, das ist eindeutig. Begleiter und momentaner Führer sind stolz, lassen sich natürlich
gerne in der Kirche
fotografieren, ich gebe mich als befriedigt aus. Und falls sich jemand für aufgelassene
armenische Kirchen interesssiert: ich habe eine entdeckt. Übrigens: dass ich nach Kirchen frage und suche, stieß noch
nirgendwo und bei keinem der vielen Gefragten auf irgendwelche Vorbehalte, sondern wird selbstverständlich, ja wohlwollend
akzeptiert.
Am Wochenende muss die Kiste geputzt werden: außen, das ist türkische Ehrensache, und innen, das ist Hausfrauenpflicht. Aber ich hatte einen Vorrat an Putzschwämmen vergessen. In einem kleinen Dorf gehe ich in den Laden: jede Menge Putzmittel, aber nicht das Gewünschte; klar, die putzen hier mit alten Lappen. Damenbinden? Könnten mit notdürftig helfen, aber ich will mich nicht zum Gespött machen. Der Ladenbesitzer versucht wortreich zu helfen, aber wie soll ich es ihm erklären? Ich zeige mein Taschentuch - er führt mich an ein hinteres Regal zu einem Stapel Tempos - und darunter liegen die Putzschwämme. Genau dieselben wie zuhause. Ich sagte es schon: ... ein sauberes Land!
* Jetzt, da ich Internet habe, habe ich endlich nachgeschaut; Bayern - Dortmund 2:1. Schade! Und
gleich noch das Ergebnis des Pokalfinales: Bayern - VfB Stuttgart, derzeit 3:2. Noch neun Minuten Hoffnung!
Aber es bleibt dabei. Sch...!
** Mein Reiseführer sagt: nahe Muş. Das sagt auch Wikipedia. Und viele andere Internet-Seiten, deutsche, englische, türkische. Dort war wohl noch keiner, alle schreiben voneinander ab.
geschrieben am 1. / 2. Juni 2013