Mittwoch, 12. April
Nun hieß es: 6 Uhr aufstehen, um rechtzeitig nach
Pozallo zu kommen - für 48 km, davon die Hälfte
Autobahn, muss man hier durchaus mit einer Stunde Fahrzeit rechnen - und das Schiff zu buchen, für das man sich um 8 Uhr
bereitstellen muss.
Ich hatte zunächst damit gerechnet, dass die Zustände in Malta besser seien als hier - englischer Kolonialismus hinterlässt
ja Spuren! - dann aber gelesen, dass vor dem EU-Betritt (der 2004 erfolgte) nur 1% der Straßen auf der Insel als dem
EU-Standard entsprechend eingestuft wurden. Also sogar schlimmer als Sizilien?
Das Schiff war eine erste Überraschung: alles sauber, ordentlich, gepflegt - eine andere Welt!
Angekommen, wollte ich zum Parkplatz vor Valetta
fahren - 1,5 km, mein Navi weist mich. Nur ist das nicht so einfach: wie soll man rechts abbiegen, wenn man links fährt
und einem rechts Autos entgegenkommen (!). Also geradeaus, den anderen hinterher - an einem Kreisverkehr ist es einfacher -
aber da muss man die von rechts (von rechts!) im Kreisverkehr Kommenden beachten. Und dann Spurwechsel: die überholen hier alle
rechts - und das ist sogar legal! Schließlich sehe ich einen freien Parkplatz - erst mal rein, tief durchatmen und erholen!
Und dann stelle ich fest: er ist nur 1,3 km vom Zentrum entfernt, also kann ich von hier problemlos zu Fuß gehen. Das erste
Fotomotiv nach dem Linksfahr-Schock: die Telefonzelle im englischen Stil …
… und dann die Unabhängigkeitstatue. 1798
hatte Napoleon Malta eingenommen - die Malteserritter hatten sich kampflos
ergeben - und die Bevölkerung feierte die Befreiung
, die aber keine war: die Franzosen plünderten das Land aus und
schafften die wenigen zuvor geltenden Freiheitsrechte ab; es gab einen Aufstand, der französische Kommandant wurde per
Fenstersturz getötet, 1800 kam die um Hilfe herbeigerufenen Engländer. In einer Volksabestimmung sprach sich 1955 die Mehrheit
der Bevölkerung für die volle Eingliederung nach Großbritannien aus, was dort abgelehnt wurde. 1964 wurde das Land in die
Unabhängigkeit entlassen und in den Commonwealth aufgenommen.
Malta ist offiziell zweisprachig: Malti, die Inselsprache, angelehnt ans Arabische, die einzige semitische Sprache in lateinischen Buchstaben, und Englisch. Mit der Dauer fiel mir auf: der Trend geht offenbar zur Benutzung der eigenen Sprache; alte Inschriften sind englisch, mittelalte zweisprachig, neuere meist nur auf Malti. Wobei es mir scheint: gehobeneres Bürgertum spricht in der Familie Englisch, einfache Leute Malti.
Gleich hinter dem Stadttor am Eingang nach Valletta: das neue Gebäude des Parlaments …
… und die Reste eines griechischen Tempels? Nein: die Reste des alten Opernhauses, 1860 als Royal Opera
gebaut,
im 2. Weltkrieg zerstört. Der Bau war ungeliebt, weil damals ein englischer einem maltesischen Architekten vorgezogen
worden war, fiel deshalb auch schon 1873 erstmals einem Brand(anschlag?) zum Opfer.
Es gibt auf Malta keine Hinterlassenschaften aus der Zeit vor dem Ordensstaat, die
Johanniter haben offenbar gründlich aufgeräumt.
Mein erstes Ziel in Valletta, die St Chatherine's Church, ist gleich ein Irrtum, wie sich später herausstellt. Es gibt auf Malta keine Hausnummern - die englische Post hat es in 150 Jahren nicht geschafft, die Malteser von deren Sinn zu überzeugen: das Land ist klein, die Straßen kurz, man kennt sich schließlich - wozu also Hausnummern. Für mich macht das die Recherche zur Sisyphosarbeit am Computer.
Erfolgreich aber, direkt gegenüber: die Kapelle Our Lady of Victories, wo Unsere Frau der Siege verehrt wird. Sie ist die älteste der vielen Kirchen in Valletta, gebaut vom Großmeister der Malteser Jean Parison de la Valette - dessen Namen die Stadt trägt - und war 1568 Ort seiner Bestattung.
Im Malteserorden wohnten die Ritter in nach ihrer Herkunft
aufgeteilten Gebäuden, Herbergen
genannt, hier die der Ritter von
Kastilien,
León und Portugal, heute Sitz des Premierministers.
Am selben Platz steht das Kastell an der Stelle der einstigen Burg aus arabischer Zeit, eine der ersten durch die Malteser errichteten Trutzburgen, gebaut ebenfalls unter Jean Parison de la Valette.
Das Denkmal davor steht für Manuel Dimech, den Vorsitzenden der Labour Party und Vorkämpfer zur Etablierung des Parlaments, das in seinem Todesjahr 1921 eingerichtet wurde. Er war 1912 von der katholischen Kirche exkommuniziert und von den Briten als angeblicher Spion 1918 eingesperrt worden und ist in der Haft gestorben.
Ebenfalls auf diesem Platz: das Denkmal für den EU-Afrika-Gipfel zum Thema Migration, der 2015 hier stattfand. Der Knoten soll die Verknüfung der Kontinente und Maltas Rolle als Vermittler zwischen beiden Welten symbolisieren. Natürlich diente die Gipfelkonferenz nicht der Vermittlung, sondern der Verhinderung von Migration. Maltas Politik aber war meist tatsächlich auf Partnerschaft nach beiden Seiten ausgelegt.
Und vom selben Standort geht der Blick auch in den Hafen und auf eines der beiden riesigen Kreuzfahrtschiffe, die heute hier liegen. Die Zahl der Toristen auf Malta hat seit 1995 verzehnfacht auf heute eine Million Touristen jährlich, dazu kommen etwa eine weitere Million Kreuzfahrttouristen - eine Heimsuchung für jeden Zielort: sie fallen morgens in Massen ein, gehen aber zum Essen und Schlafen abends wieder auf ihren Riesendampfer, lassen also kaum Geld im Land und schaffen keine Arbeitsplätze. Venedig will den Kreuzfahrtschiffen jetzt das Anlegen untersagen.
Nochmals in der Kapelle Our Lady of Victories: das Marienbild.
Im Palazzo Parisio hat heute das Außenministerium seinen Sitz.
Die Hauptstraße durch Valetta, Republic Street
, fast vom Anfang, an ihrem Ende erkennt man das Meer. Es ist alles
klein hier, in der Hauptstadt leben gerade Mal gut 6000 Einwohner. Der Großraum Valetta hat 250.000 Bewohner, aber was wir
Stadtteil nennen würden, ist jeweils eine eigene Stadt, davon ist
Birkirkara mit (2013) 21.889 Einwohnern die größte
auf Malta. Und die Hauptstraße - Fußgängerzone - quillt über von Touristen.
In der Franziskanerkirche St Mary and Jesus ist Ignatius Falzon bestattet.
Gegenüber der Hafenbucht liegt in Vittoriosa - malti: Birgu - das Fort San Angelo mit arabischen Resten aus dem 9. Jahrhundert, erbaut nach der Sesshaftwerdung der Malteser 1530 vom ersten Großmeister auf Malta, Philippe de Villiers de l’Isle-Adam.
Was ich versäumt habe: mir eine echte Schwarzwälder Kuckucksuhr zu kaufen. Schwarzwald und Malta - jedenfalls für Amis ist das alles dasselbe, halt Europa.
Die nach Paulus benannte Straße mit der Kollegiatskirche
St Paul's Shipwreck; Paulus ist hier natürlich
allgegenwärtig aufgrund der - zweifelhaften - Interpretation von Apostelgeschichte 28, 1: Nach unserer Rettung erfuhren
wir, dass die Insel Malta hiess
- im Original: Melita
.
Die Hauptstraße von Valletta liegt auf einem Bergrücken, der nach beiden Seiten steil zum Meer abfällt, hier mit Blick auf die Kirche Santa Lucia.
St Paul's Shipwreck ist schon - wie jetzt fast alle
Kirchen hier - festlich geschmückt und das Banner wirja
weist auf die bald stattfindende Prozession hin, es ist heute
ja der Mittwoch vor Ostern.
In St Paul's Shipwreck erlebe ich das Ende einer ordentlich besuchten Messe. Und: ich bestaune wie reich ausgestattet, aber auch wie sauber und gepflegt die Kirche ist - und alle weiteren, die ich sehen werde.
Und dann, eine Wucht: die Konkathedrale St John's, 1578 geweiht, zunächst auch innen ganz schlicht, im 17. Jahrhundert aber prächtigst barockisiert.
Im Innenhof: die Gedenktafel an die erfolgreichen Verteidiger gegen den Angriff der Türken unter Sultan Suleyman dem
Prächtigen
im Jahr 1565 - dieser Sieg gilt als entscheidend gegen die türkische Gefahr und wird als der great siege
bis heute in Malta gefeiert.
Selbst die seitliche Fassade ist beeindruckend …
… und die Hauptfront schlicht, aber würdevoll.
Elektromobilität - für die Touristen in der Fußgängerzone. Malta fördere diese generell intensiv und die Insel bietet mit
maximalen Entfernungen von 30 km schon heute ideale Voraussetzungen - aber mit einer Ausnahme habe ich kein Elektroauto gesehen.
Mir war schon immer klar: batteriebetriebene Elektroautos haben keine Zukunft, Gewicht und Leistung konterkarieren sich und
sauberer ist diese Fortbewegung auf keinen Fall - der Schadstoffausstoß passiert nur statt im Auto im Kraftwerk, ist aber
genau so groß, hinzu kommt der riesige kontaminierte Abfallberg der alten Batterien.
Eine zweite - traurige, aber mich ebenfalls nicht überraschende - Erkenntnis: die Leute nutzen den öffentlichen Nahverkehr
nur im Notfall, sie wollen ein eigenes Auto. Malta hat ein hervorragendes Bussystem: jeder kleinste Ort wird - auch Nachts ! -
im 10- oder 15-Minuten-Takt angefahren, die Straßen von Malta sind voll von Bussen, also idealste Bedingungen, preiswert dazu.
Und doch kaufen sich die Leute Autos, unterhalten diese und stecken dann im in Malta verbreiteten Dauerstau - am Samstag habe
ich für die 23 km von meinem Stellplatz im Norden
nach Florina zwei (in Worten: zwei!) Stunden
gebraucht, obwohl ich das Linksfahren inzwischen konnte. Mit 592 privat zugelassenen Pkw je 1000 Einwohner lag Malta 2012 auf Platz 2 in der EU -Deutschland hat nur 530.
Über das desaströse Scheitern der Deutschen Bahn-Tochter Arriva, Betreiber des Busverkehrs von Mitte 2011 bis 2013, sollte man hier nachlesen!
Natürlich muss man die vielen Touristen auch bespaßen: hier mit dieser fahrbaren elektrischen Drehorgel.
Riesig: der Großmeisterpalast
, gebaut 1571
bis 1574, heute Regierungsgebäude.
sein Eingang: very british.
der erste Innenhof: blühend …
… und machtbewusst.
blühend auch der zweite Innenhof
Blöd: bei Staatsgeschäften ist nur die Waffenkammer zu besichtigen. Und weil Malta in diesem Halbjahr die EU-Präsidentschaft innehat - sichtlich stolz darauf - ist in dieser Zeit jeden Tag Staatsgeschäft. Also die Waffenkammer mit erhaltener Ausrüstung für 6000 Ritter - dereinst reichte sie für 60.000 Kämpfer.
Das Trauma des Malteserordens: Napoleons Landung 1798, Ende des Ordensstaates.
Auf dem Platz neben dem Großmeisterpalast: Queen Victoria, britische Königin von 1837 bis 1901 (!), also auch die über Malta.
auch very british: der Blumenkiosk.
In die Seitenstraßen verlaufen sich die Touristen seltener. Und von dieser Halbinsel, auf der Valletta liegt, ist das Meer nie weit.
und ein neuer Überfall von Kreuzfahrttouristen
Vor denen schützen nicht einmal die nun wirklich mächtigen Stadtmauern am Eingang zu Valetta.
Außerhalb der Touristenziele ist Malta nicht viel anders als Sizilien …
… aber überall wehrhaft …
… und dem Meer nahe.
Abends ist das Linksfahren schon etwas einfacher - ich will in den Norden der Insel, dort gibt es einen Campingplatz. An vielen Stellen auf der Insel finden sich Paläste der Malteserritter, auch hier im Norden nahe St Paul's Bay der Selmun-Palast, gebaut 1783 als Sommerresidenz und Jagdquartier, noch 2008 ein Luxushotel, jetzt offenbar geschlossen.
Ich bin unterwegs nach einem Aussichtspunkt, hin auf die Insel Selmunetta, die nun
St Paul's Island heißt und an der
Paulus der Überlieferung zufolge seinen Schiffbruch erlitt.
Der beste Aussichtspunkt ist das Fort Campbell, eine
riesige Anlage zur Verteidigung der Bucht, von den Engländern 1937/1938 gebaut - sie ahnten offenbar, was kommen wird, heute ein
lost place
.
Ich halte meine Kiste an am - vermeintlichen - Ende des Feldwegs, lasse die Tür offen und will nur ein paar Schritte gehen,
um zu fotografieren. Aber es zieht sich, ich verlaufe mich, es dauert. Als ich mich meiner Kiste wieder nähere, sehe ich
aufgeregte junge Männer - der Feldweg geht weiter, sie wollten durchfahren, dahinter ist Gelände, auf dem trotz ausdrücklichem
Verbot offroad gefahren wird. Sie beschimpfen mich, you are silly
, beschwichtigend stimme ich zu, aber das genügt ihnen
nicht. In meinem Land würde ich so etwas ja auch nicht machen, aber hier könne ich mir wohl alles erlauben …
Sie sind genervt von den Touristen, das verstehe ich, und ich habe mich wirklich blöd verhalten. Auch im Weiteren fällt
mir auf: es gibt extrem freundliche und hilfsbereite oder extrem unfreundliche, sichtlich genervte Malteser, die
sizilianische Gelassenheit, den Mittelweg,
trifft man kaum.
Anyway, ich habe mein Bild von der Insel mit der 12 m hohen Paulus-Statue, errichtet 1865. An der nördlichen Steilküste wäre der Schiffbruch vorstellbar, dennoch erscheint mir Kephalonia richtig, vgl. Ort des Schiffbruchs von Paulus.
Ein paar Kilometer weiter finde ich an der nächsten Bucht, gegenüber von Mellieħa, einen Wohnmobil-Stellplatz mit Blick über die Bucht auf die Stadt. Unter der großen Kirche ist eine Höhle, nachweislich schon in phönizischer Zeit als Heiligtum genutzt, dann Kirche, die älteste auf Malta.
Tracks
gibt's nur bis Valletta - ich kann nicht
an alles denken: Linksverkehr und Trackaufzeichnung. Und die Maschine selbst ist ja zu doof - demnächst wollen sie aber sogar
die Autos autonom fahren lassen!
Logbuch Reiselogbuch - 2017-1-6
geschrieben am 17. und 18. April 2017