Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Weltuntergang und Frühlingserwachen

   J. Schäfer          

Montag 25. Februar, bis Montag, 11. März

Es kann so idyllisch sein hier auf dem Campingplatz bei Paleochora. Und ebenso schrecklich: vorvergangenen Montag kam das Chaos: am Nachmittag heftigster Regen, Strom- und Telefon- (also auch: Internet-)ausfall - auch mobil, weil die Stationen ja Strom brauchen; in der Nacht Gewitter, das ich körperlich spürte, so elektrisch war die Luft. Schlaflos das Prasseln des Regens und das Wackeln der Kiste im Regen erduldet. Bin ich deshalb 2500 km von zuhause entfernt? Dienstag gegen Abend war dann die Sintflut zuende; die Straße nach Chaniá wegen Erdrutschen gesperrt, aber immerhin Strom und Telefon repariert.
radio-kreta.de meldete dann: Mehr als 100 Millionen Euro Schaden in Westkreta. 7 große Brücken sind zerstört. Das Militär hat bereits Notbrücken geschickt. Lidl in Platania ist zweimal in einer Woche überschwemmt worden. Das gesamte Strassennetz ist zu 50% zerstört oder stark beschädigt. In den Bergen oberhalb Paleochora 496 L/m². Über 100 Strommasten sind durch die Stürme umgeknickt. Insgesamt sind 5 Tote zu beklagen, die in den reißenden Flüssen ihr Leben ließen. Durch unkoordinierte Besiedelung / Bebauung sind in den letzten 50 Jahren von 240 Flußläufen nur noch 38 übriggeblieben. Nun hat sich das Wasser seinen Weg gebahnt. Und die Griechenland Zeitung: Griechische Medien sprechen von einer biblischen Katastrophe; eine ähnliche habe es seit 50 Jahren auf Kreta nicht mehr gegeben.
Der Klimawandel und die hiesigen Umweltsünden forden ihren Tribut, das Unwetter auf Kreta ist offensichtlich die Kehrseite des gleichzeitig schönen Wetters zuhause: Der Deutsche Wetterdienst (DWD) mit seinen rund 2000 Messstationen im ganzen Land bezeichnet den ausgehenden Winter als erheblich zu mild. Mit 2,6 Grad Celsius über dem Mittel der Jahre 1961 bis 1990 gehörte er in Deutschland zu den wärmsten je registrierten.


So lebe ich hier weiter, zwar ohne Regen, aber mit heftigem und kaltem Wind, und mit Blick auf den Neuschnee auf den Weißen Bergen, die ihrem Namen Ehre machen.

Samstags fahre ich zum Kloster der heiligen Väter im nahen Azogirés, ich kann ja nicht nur in der Kiste hocken. Dem Wetter trotzend arbeite ich intensiv an den Heiligen von Kreta, des Peloponnes und griechischer Inseln - 79 Biografein habe ich hier bislang verfasst. Die 99 heilige Väter von Kreta haben gelebt in der Höhle, vor der später das Kloster gebaut wurde, leider ist es geschlossen. Der Bach am Kloster, eigentlich nur ein Rinnsal, wurde durch die Regenmassen zum wild rauschenden Gebirgsbach.

Kloster der heiligen Väter von weitem …

… und Idylle am Wegesrand.
Sie sind halt nicht produktiv, diese Griechen. Sie müssten dringend bei uns lernen: 1000, nein: 2000 Schweine in einem Stall, das gibt billiges Fleich!
Gut, dass wir Ihnen in den letzten Jahren so geholfen haben: Der Wohlstand im Land ging allgemein auf Talfahrt, die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe. Die Haushaltseinkommen fielen um mehr als 30 Prozent, jeder Fünfte hat nicht genug Geld für die nötigsten Ausgaben wie Miete, Strom und Kreditrückzahlung. Selbst jene, die Arbeit haben, sind von Armut betroffen. Die Löhne fielen nicht nur um die Hälfte oder mehr – sie werden oft auch erst mit monatelanger Verzögerung ausbezahlt. Zumindest die Hälfte der Arbeitsverhältnisse sind zeitlich befristet oder Teilzeit. So die New York Times. Laut OECD hat fast jeder zweite Haushalt mit zwei Kindern weniger Einkommen, als nötig ist, um über die Armutsgrenze zu kommen. Das Ende des Rettungsprogramms hat - noch? - nichts geändert: Wir überleben nur, aber wir leben nicht, fasste es eine Griechin zusammen.
Das Resultat der Griechenland auferlegten Maßnahmen: BIP um 25 % geschrumpft, von 226 Mrd. Euro 2010 auf 177 Mrd. Euro im Jahr 2017. 230 000 mittelständische Betriebe mussten 2008 bis 2015 schließen. Die Zahl der Arbeitslosen ist von 485.000 im Jahr 2009 auf 1.027.000 im Jahr 2017 gestiegen, die der Langzeitarbeitslosen von 196.000 im Jahr 2009 auf 747.000 im Jahr 2017. 19% waren im Juli 2018 arbeitslos - 2008 waren es 7,8% , auf dem Höhepunkt der Griechenlandrettung im Juli 2013 27,9%. An die 500.000 Griechen sind ausgewandert. Die Einkommen wurden in den Jahren der Memoranden um 30% gesenkt, die Renten um 35% bis 55% gekürzt; gleichzeitig haben 52% der Haushalte als Haupteinnahmequelle die Rente von Familienangehörigen. Die Staatsschuldenquote stieg laut Handelsblatt von 126% Ende 2009 auf 187% im Juni 2018.
Ulrike Hermann, Redakteurin der TAZ, belässt es nicht bei der Anklage, die Rettung der Banken hätte Griechenland ruiniert, sie findet auch, dass diese deutsche Europapolitik auch nicht im Sinne Deutschlands ist: Berlin verhält sich wie ein Viehzüchter, der die Kuh, die er melken will, nicht füttert.

Montags geht's ins nahe Andiri zur Georgs-Kirche, die Johannes der Fremde gebaut hat. 12 Sitzplätze zähle ich in der kleinen Kirche des Dorfes, in dem alle aus derseben Familie stammen, wie mein Reiseführer weiß. Der ist großartig, kennt jeden Stein einzeln und dazu noch seine Geschichte: Eberhard Fohrer: Kreta, 21. Aufl. Michel Müller Verlag, Erlangen 2018

An der Ikonostase: Paulus (links) und Petrus

Gelassenheit …

… und die Spuren der Naturgewalten.
Donnerstags ist dann schlagartig der Winter vorbei, mich weckt die Wärme der Sonne, ich verbringe die Mittagszeit im T-Shirt und muss nicht mehr Strom sparen, jetzt produziert die Solaranlage genügend für Laptop sowie Licht und Heizung am Abend. Dem Camping-Mann hatte ich versprochen, seinen Strom nur zum Kaffeekochen zu gebrauchen, deshalb wollte er für einen Monat Aufenthalt nur 175 € - und nahm gern die 200 €, die ich ihm gab.

Am Freitag kann ich nun das schöne Wetter nutzen. Ich will nach Polyrrhenia, fahre auf der Hauptstraße nach Norden, vorbei an den unzähligen, inzwischen zur Seite geräumten Erdrutschen und Felsstürzen, und dann auf engen, kurvigen Nebenstraßen Berg und Tal durch die Provinz und die tiefe Topalia-Schlucht, die die Straße auf mittlerer Höhe durchquert.

Dann endlich der Blick aufs Meer im Norden und auf die Halbinsel Rodópou …

… und die im Frühling erwachte Natur.

Kurz vor dem Ziel ist die Straße gesperrt - ein Sack in der Straßenmitte signalisiert, dass offenbar kein Durchkommen ist. Also außen herum, ich habe ja Zeit.
Eine Karikatur zeigt das Grundprinzip des Autofahrens auf Griechenlands Schlaglochstraßen. Aber insgesamt sind die Straßen nicht so schlecht, in Süditalien ist es wesentlich schlimmer.

Nach 2½ Stunden bin ich da, habe 60 km geschafft, dabei die meisten sogar Griechen überholt. Gut Ding will eben Weile haben. Belohnt werde ich mit der großartigen Aussicht an der den 99 heiligen Vätern gewidmeten Kirche im Ruinenfeld des antiken Polyrrhenia.

Nächstes Ziel ist die Westküste Kretas, schon der Auslick auf der Anfahrt lohnt sich wieder. Auf der Halbinsel lag die antike Stadt Falássarna, eine minoische Gründung und noch zur Römerzeit bewohnt. Johannes „der Fremde” baute an der verfallenden Stadt eine Kirche.

steinerner Thron in Falassarna, möglicherweise dem Meeresgott Poseidon geweiht.

Nach dem Einkauf beim nicht überschwemmten Lidl in Agion Apostolon will ich nach Alikianós. Wieder kurz vor dem Ziel ist die Straße gesperrt, die Fluten haben die große Brücke weggerissen; das ist die Brücke, die im Artikel über Georg von Alikianós vorkommt als Ort der Hinrichtung der Widerstandskämpfer durch die Deutschen. Umleitungsschilder gibt es wie üblich nicht, den Weg muss ich mir im Navi suchen und komme deshalb zerst nach Fournes, wo Georg als Märtyrer starb.

An der Johannes „dem Fremden” geweihten Kirche nahe Alikianós wachsen - wie überall in der Gegend - die nun fast reifen Orangen.

Den Aufstieg zur Kirche Ierós Naos Analepseos, Auferstehungskirche, oberhalb des Dorfes Koufós, die Johannes „der Fremde” gründete, spare ich mir, da es schon spät ist und ich nicht bei Dunkelheit über die Schlagloch- und Erdrutsch-Straßen heimfahren will. Die allermeisten Kirchen sind hier sowieso verschlossen.

Zu ist natürlich auch die Pfarrkirche in Alikianós, wo Georg von Alikianós geboren wurde. Aber wie zur Bestätigung des in meiner Biografie über Georg Ausgeführten steht daneben das Denkmal mit der langen Liste der im 2. Weltkrieg Ermordeten …

… und unweit die Georgskirche aus dem 13. Jahrhundert, inzwischen deutlich unter dem Straßenniveau, auch sie Schauplatz eines Massakers.

Heute, am Montag, ist hier Feiertag: Kathará Deftéra, der saubere Montag, an dem die Fastenzeit vor Ostern beginnt - das orthodoxe Osterfest ist dieses Jahr nur eine Woche nach dem Westlichen. Heute ist also sozusagen der Aschermittwoch. Zum langen Wochenende sind einige griechische Familien auf den Campingplatz gekommen. Zuvor war Apokriés, Fleisch ade, also daselbe wie carne vale, aber die griechische Fastnachtszeit dauert nur drei Wochen. Orthodox Fasten heißt für die nächsten Wochen: kein Fleisch, kein Fisch mit rotem Blut, keine Butter, kein Öl, keine Milch, keine Eier - aber durchaus Meeresfrüchte wie Shrimps, Kalamari oder Kaviar, Gemüse und Obst, auch Halva, die Fastensüßigkeit und durchaus: auch Alkohol. Am Kathará Deftéra geht mit den Kindern zum Drachensteigen, so auch an meinem Strand, denn noch gibt es genug Wind.
Karnevals-Hochburg in Griechenland ist Patras, dort feiern 50.000 aktive Karnevalisten und hunderttausende Teilnehmer. Der Karneval in Patras erhebt den Anspruch, zu den zwei oder drei grössten Karnevalsveranstaltungen Europas zu gehören.

Tracks
Andiri (nur Rückfahrt
Agion Apostolon und Alikianós (zwei Tracks, um Batterie zu sparen)

Logbuch Reiselogbuch-2019-1-2

geschrieben am 9. und 11. März 2019



Kommentare


Kommentar schreiben

URLs werden automatisch umgewandelt.
[b]DEIN TEXT[/b] für Fett gedruckt
[quote]DEIN ZITAT[/quote] für Zitate
[code]DEIN CODE[/code] für Code
captcha