Dienstag, 12. März bis Samstag, 16. März
Nachdem Regen, Kühle und Katastrophen sich lange genug ausgetobt hatten, kam ab Mittwoch die Wende.
Samstags habe ich dann doch noch gewagt, den Bergpfad zur Höhle der 99 heiligen Väter oberhalb von Azogirés zu befaHren - und es ging tatsächlich, auch wenn noch immer viel Wasser aus den Bergen floss. Unterwegs: eine der unzähligen kleinen Kirchen, die hier überall stehen.
Unten im Tal liegt jetzt das Dorf und das Kloster der 99 heiligen Väter.
Ob die 99 heiligen Väter ihre Behausung de Panoramas wegen gewählt haben? Jedenfalls konnten sie sich dem Himmel nahe fühlen.
Sonntag, 17. März
Am Sonntag geht es dann endlich weiter. Nach gut fünf Wochen auf dem angenehmen Campingplatz bei Paleochora und Biografien von über 100 Heiligen ist es Zeit, Abschied zu nehmen mit dem Blick auf das Städtchen Paleochora, wenn auch mit einem bisschen Wehmut. Jedenfalls verstehe ich, warum hier so viele - v. a. deutsche - Residenten leben. Paleochora hat seinen Charme bewahrt, keine großen Hotels, auch neue Häuser maximal zweistöckig - weniger kann mehr sein.
In Chaniá sehe ich zuerst die Festung Firkas am Hafen, in der Emmanuel und seine Familie gemartert wurden. Am Hafen prominieren die ersten Sonntags-Spaziergänger, im Hintergrund grüßen die Weißen Berge.
Das große Hafenbecken, wie der Leuchtturm aus der Zeit der venezianischen Herrschaft (1204 bis - in Chaniá - 1645), und die Janitscharen-Moschee, im 17. Jahrhundert gleich nach Übernahme der Herrschaft von den Osmanen gebaut, heute ohne Minarett, weil es die Deutschen in der Zeit ihrer Besetzung der Insel 1941 - 1944 zerstört haben. Beim Unwetter neulich, so erzählt mir ein Campingkollege, der sich damals in einem Hotel am Hafen in Sicherheit gebracht hatte, schlugen die Wellen über das Dach der Moschee.
Vorbei am ehemaligen Kapuzinerkloster, von wo
aus Ignatius von Apice n der venetianischen Zeit als Missionar
auf Kreta wirkte, komme ich zur Kathedrale
Eisodion tis Theotokou
; an ihrer Stelle stand
früher eine Kirche, in osmanischer Zeit wurde sie zur Seifenfabrik, 1860 wurde das heutige Gebäude errichtet.
Ich habe Glück: die Kathedrale ist geöffnet, schließlich ist heute Sonntag. Erstaunlich viele - junge - Leute kommen vorbei und küssen eine oder mehrere der Ikonen - nicht ins Gesicht! - als Zeichen der Beziehung zwischen dem Menschen und dem Heiligen.
Ikone: die Verurteilung Jesu' durch die
Juden
Ikone: Erzengel Michael
Im türkischen Viertel: Minarett der ehemaligen Achmet-Aga-Moschee.
Die kleine Kirche Agioi Anargiri
, die
Kirche der Heiligen Ärzte
, damals der
Amtssitz von Kallinikos, dem Bischof von Chaniá, der mit
Gerasimos IV. von Kreta
getötet wurde.
Die Katharina und den 99 heiligen Vätern von Kreta geweihte Kirche, um 1575 erbaut, in Osmanischer Zeit erst Bäckerei, dann Werkstatt, vor einigen Jahren durch die Archäologie-Behörde rekonstruiert und nun wieder Kirche.
Die Kirche Agios Nikolaos mag an den in Chaniá geborenen Nikolaus Studites erinnern. Einträchtig stehen der Kirchturm links und rechts das Minarett aus der Zeit, als das Gebäude osmanische Moschee war, nebeneinander.
Venezianische Gebäude sieht man hier noch allerorten, ihr Zustand ist nicht immer gut …
… ebenso wenig der von Teilen der venezianischen Stadtmauer
In einem Außenbezirk besuche ich noch das Kloster
Chrissopigi, aus dem Mönche als Gefährten von
Gerasimos IV. von Kreta
starben.
Dann fahre ich auf die Halbinsel Akrotiri - und weil Sonntag ist zum Flughaben, um mir dort etwas Gutes
zum
Essen zu kaufen. Teuer sind Sandwitch + Fanta, 7,95 €, gut nicht. Der Flughafen wird inzwischen von der deutschen Fraport
AG verwaltet wie alle gewinnbringenden griechischen Flughäfen - die defizitären durften die Griechen behalten -, das war
eine der Hilfsmaßnahemen
für die faulen Griechen
. Ich habe meinen Teil zum Gewinn der Fraport -
Haupeigentümer: das Bundesland Hessen und die Stadt Frankfurt - beigetragen und den Sandwitch hinuntergewürgt. Für
denselben Preis hätte ich auch eine gute griechische Pizza haben können.
Auf Akrotiri besuche ich das Kloster Agia
Triada; man kann es besichtigen gegen kleinen Eintritt, auch ein Museum mit Ikonen und sakralen Gegenständen. Von
dort geht der Blick auf die Rückseite des Katholikon
, der Kirche des Klosters, die in (fast) allen
orthodoxen Klöstern in der Mitte des Komplexes
- im Zentrum! - angesiedelt ist.
Und vor dem Kloster gibt es wieder einmal einen herrlichen Blick auf die - noch immer - Weißen Berge
.
Etwas höher in den Bergen liegt das Kloster
Gouverneto, erbaut im 16. Jahrhundert und wehrhaft ausgerüstet gegen Überfälle osmanischer Piraten
; sieben
Mönche des Klosters starben als Gefährten von
Gerasimos IV. von Kreta.
Von hier aus führt ein gut halbstündiger Fußmarsch auf einem ehedem gepflasterten, jetzt durch Unwetter holprigen Pfad, der festes Schuhwerk unabdingbar macht, zum ehemaligen Kloster Katholiko, das an der Höhle erbaut wurde, in der Johannes lebte, der Anführer der 99 heiligen Väter von Kreta.
Auf halbem weg ist die Bärenhöhle
, eine große Tropfsteinhöhle. In deren Mitte steht dieser riesige Stalagmit,
den natürlich eine Legende umgibt: die in dieser unwirtlichen Einsamkeit lebenden Hirten hatten als einzige Wasserquelle
das von der Decke tropfende Wasser, aber ein großer Bär soff ihnen alles weg; auf ihr Gebet hin verwandelte
Maria den Bären in diesen Tropfstein, an den man zum
Dank einen Altar anbaute.
Montag, 18. März
Nach einer ruhigen Nacht auf dem Parkplatz des Klosters Agia Triada - mit WC, sehr nett! - verlasse ich die Halbinsel Akrotiri und komme nach Kokkino Chorio bei Chania, wo die Osmanen 150 Frauen und Kinder, die sich in der Tropfsteinhöhle Petsi versteckt hatten, als Gefährten von Gerasimos IV. von Kreta töteten.
Etwas im Landesinnern liegt in dieser kleinen Schlucht nahe Vafes die Höhle Krionerida; hier starben 130 Widerstandskämpfer, Frauen und Kinder als Gefährten von Gerasimos IV. von Kreta.
Die Kirche in Dramia wurde ursprünglich
möglicherweise von Johannes dem
Fremden
gegründet.
Dann geht es wieder in den Süden, über den gut 800m hohen Pass, vorbei an der Imbros-Schlucht nach Chora Sfakion. Dort
fahre ich auf einem Schotterweg und gehe dann zu Fuß weiter zur
Pauluskirche an dem Strand, wo der
Apostel möglicherweise landen wollte; weil
ein Felssturz ins Meer den Weg unterbrochen hat, ist sie leider nicht mehr ganz erreichbar. Wie sich später herausstellt,
ist es aber wohl nicht die von Johannes
dem Fremden
gegründete Pauluskirche.
Die Natur kann grausam sein - es gibt hier viele Greifvögel …
… und wunderschön, dem Regen gedankt.
Zurück im Ort will ich zur Johannes-Kapelle, geweiht dem Andenken an den hier geborenen Johannes von Kreta. Dummerweise lande ich einige Meter weiter an der ursprünglich im 15. Jahrhundert gebauten Apostel-Kirche, der lange Zeit imposantesten Kirche im Land von Sfakia. Der wieder in Ruinen liegende Glockenturm daneben wurde erst im Jahr 1900 gebaut.
Nach einigem Suchen finde ich immerhin den Weg zur Pfarrkirche; sie steht für den hier geborenen Manuel von Sfakia und die Anlandung der 99 heilige Väter von Kreta.
Im umgebenden Friedhof sieht man, wie so ein Domos
, Haus
, also Grab, im Rohbauzustand aussieht.
Noch ist bis zum Einbruch der Dunkelheit etwas Zeit, deshalb fahre ich gen Osten nach Frangokastello - benannt nach dem
1371 bis 1374 von den Venezianern erbauten
Kastell. Für die Kreter waren diese im Zuge
der Kreuzzüge gekommenen Besatzer einfach Franken
,
weil viele Kreuzzugsanführer aus Frankreich stammten; genauso, haben wir schon gelernt, sind die
nichtorthodoxen Christen - also auch die
Katholiken - ja einfach Protestanten
, weil sie sich von der rechtgläubigen
Kirche abgespalten haben.
Bedeutung erlangte das Kastell in den kretischen Befreiungskriegen, daran erinnert das große Denkmal vor dem Kastell.
1828 stellte sich hier der vom griechischen Festland gekommene Hatzimichaelis Daliannis (Mitte) mit 600 Mann den
zahlenmäßig überlegenen Türken entgegen, bald waren 200 Griechen einschließlich ihres Anführers gefallen. Die anderen
flüchteten unter Daliannis' Vizekommandant Nikolaos Deligiannakis (links) in die Festung, konnten diese tagelang verteidigen
und schließlich einen ehrenvollen Abzug aushandeln. 1874 starb Deligiannakis eines natürlichen Todes, nachdem er zuvor
noch Mitglied im neuen Parlament in Athen war.
Hatzi
ist das Prädikat für Michael, weil er eine
Wallfahrt ins Heilige Land unternommen hatte;
Hadsch
ist also nicht nur muslimisch!
Dienstag, 19. März
Auch die Nacht am Kastell war ruhig - und mit
WC. Westlich von Chora Sfakion geht es heute auf einer kühn in die Felsen geschlagenen Straße mit vielen Serpentinen
gut 800 m hinauf nach Ágios Ioánnis; auf der Hochebene davor liegt Anópolis; ein
Denkmal erinnert an den hier geborenen
Freiheitskämpder Daskalojánnis
, Johannes, den Lehrer
; er war Reeder und gab sein ganzes Vermögen für den
Freiheitskampf von 1770; im März 1771 musste er, der sich mit seinen Truppen im Frangokastello verschanzt hatte,
sich den Türken ergeben, die freien Abzug versprachen, ihm dann aber bei lebendigem Leib die Haut abzogen - vor den
Augen seines Bruders, der darüber verrückt wurde.
Dann geht es über die in den 1980-er Jahren gebaute Brücke über die tief eingeschnittene Aradena-Schlucht, gestiftet von vier Brüdern aus Ágios Ioánnis, die mit Olivenöl zu Geld gekommen waren und so eine Zufahrt zu ihrem Bergdorf ermöglichten. Im Sommer gibt es Bungy-Jumping, mit 138 m zum Talgrund die dafür zweithöchste Gelegenheit in Europa.
Schwindel erregend
In Ágios Ioánnis sehe ich zuerst die Pfarrkirche …
… und dann die Johannes dem
Fremden
geweihte Kirche, in der
seine Schädelreliquie bewahrt wird - wie meistens ist die Kirche leider auch
hier geschlossen.
Recht abenteuerlicher geht es dann auf schmaler, nur teilweise asphaltierter Straße hinab zur Bucht von
Finikas.
Paulus wollte hier überwintern, wurde aber der
Überlieferung zufolge von einem Sturm - ich kann bestätigen: die gibt es hier, v. a. ablandig! - abgetrieben und landete
deshalb dann auf Melita
, vielleicht also Malta.
Die herrliche Bucht von Finikas erreiche ich nicht ganz; 650 der 800 Höhenmeter habe ich mich hinabgeschraubt, dann sehe ich, wie unten ein Bagger dabei ist, einen Erdrutsch zu korrigieren, aber selbst ein 4x4-Fahrzeug eines Einheimischen kaum durchkommt. Da ich eine Stelle finde, wo die Piste 6 m breit ist - meine Kiste hat 5 m - drehe ich um. Leider bin ich ja nicht ganz schwindelfrei!
Auf dem Rückweg hinab nach Chora Sfakion begeistere ich mich an den vielen Ziegen- und einigen Schafherden. Sie liegen
auf der Straße - die ist etwas von der Sonne gewärmt - und gehen dann, wenn ein Auto kommt, langsam weg. Auch die vielen
Jungen machen das schon sehr geübt.
Erstaunlich sind die Kletterkünste der Ziegen - aber ökologisch ist es eine Katastrophe, denn sie fressen die Pfanzen,
die dem Felsboden den eigentlich dringend benötigten Halt geben könnten.
Sie begeistern mich immer wieder, jetzt von Südosten her: die jeden Tag weniger weiß werdenden Berge; rechts der Páchanes, der mit 2453 m zweithöchste Berg Kretas.
Es geht zurück in den Norden der Insel, diesmal etwas weiter östlich über einen 1000m hohen Pass. Etwas dahinter liegt
auf rund 800 m Höhe Kallikratis, ein nur noch im Sommer belebtes Bergdorf mit diesem
Denkmal an die Vergeltungsaktion
der
Deutschen am 8. Oktober 1943: die damaligen Bewohner der ein Dutzend Häuser, 31 Männer und Frauen, wurden an dieser
Stelle zusammengeführt und erschossen, alle Häuser wurden in Brand gesteckt. Dorfbewohner hatten wohl eine
geheime englische Funkstation unterstützt. Ausgeführt hat das Massaker das Jagdkommando Schubert
: Friedrich
Schubert war beauftragt worden, ein Sonderkommando zur Partisanenjagd aufzustellen; in dem mit deutschen Uniformen ohne
Hoheitsabzeichen ausgestatteten Kommando wurden auch griechische Kollaborateure eingegliedert. Schubert handelte nach dem
Sühnebefehl
, den der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, 1941 eigentlich
für den Kriegsschauplatz Jugoslawien erlassen hatte, der aber auf Griechenland, die besetzte Sowjetunion und andere
Gebiete übertragen worden war: er sah vor, für jeden aus dem Hinterhalt getöteten deutschen Soldaten 50 bis 100 Zivilisten
hinzurichten. Schubert gehört zu den wenigen, die nach Kriegsende vor Gericht gestellt wurden, er wurde 1947 in
Athen wegen Mordes 27 mal zum Tode verurteilt,
das Urteil wurde in Thessaloniki vollstreckt.
Ziel war Myriokefala, wo Johannes der
Fremde
das Kloster gründete.
Unweit davon ist Argiroúpoli, die früher bedeutsame antike Stadt Lappa mit der Kirche der 5 Jungfrauen, wo - angeblich - Thekla und ihre Gefährtinnen lebten.
Sie lebten demnach als Büßerinnen und Beterinnen in der Nekropole der antiken Stadt, deren Gräber rund um ihre Kirche liegen.
Unterhalb von Argiroúpoli entspringen Quellen - jede Menge Wasser, so viel, dass die ganze Stadt
Réthymno damit versorgt wird. Im Sommer ist
das natürlich ein beliebtes, weil erfrischendes Ausflugsziel - es erinnert mich an die ebenfalls als Ausflugsziel
beliebten Wasserfälle nahe Antakya / Hatay,
die Fergin und Swetlana mir vor fast sechs Jahren auf der
Pilgerfahrt
gezeigt haben.
Vorletzte Station nahe Argiroúpoli: das ehemalige
Patapios-Kloster, das auch
Johannes der Fremde
gründete …
… und dann in Argiroúpoli: die Pfarrkirche an den Ruinen von Lappa. Lappa ist noch immer katholisches Titularbistum, Michael Kozal trug den Titel.
Gegen Abend erreiche ich den Campingplatz
Elisabeth bei Rethymno - einer von zweien auf Kreta, die
auch im Winter offen haben. Kein echtes Wunder also: ich treffe alle wieder, die auch schon auf dem
Campingplatz bei Paleochora waren. Dieser
Platz ist - obwohl direkt am Strand - ein kleines Pflanzenparadies und erinnert nocheinmal an Fergin und sein
Paradies in
Konacık - das es wohl nicht mehr gibt, auch das
hat der Syrien-Krieg sicher - indirekt - plattgemacht.
Kreta, das habe ich in diesen Tagen gesehen und erlebt, ist aber auch paradiesisch - auf seine Art: rauh, kahl,
steil mit tiefen Schluchten, schneebedeckt und frühlingssprießend, freundlich aber von der Geschichte geplagt und
jedenfalls in diesem Jahr auch vom Wetter. Autofahren geht leider oft im Schneckentempo; obwohl die Straßen eigentlich
ordentlich sind, sind sie oft eng, kurvig und teils so steil, dass ich bremsenschonend den Berg hinabkrieche, zudem
muss man stänig mit Felsstürzen, Erdrutschen und abgebrochenen Straßenrändern rechnen, die Unwetterschäden zu beseitigen
wird lange dauern. Auch das Finden der richtigen Kirchen ist mühsam: in manchen Dörfern gibt es fast so viele Kirchen wie
Häuser; alle klein, meist ohne Beschriftung und geschlossen, die richtige zu erwischen braucht außer viel Sorgfalt in
der Vorbereitung manchmal auch ein bisschen Glück vor Ort. Dennoch:
.
Das stammt von Nikos Kazantzákis - und auch das habe ich von Eberhard Fohrers Reiseführer: Kreta, 21. Aufl. Michel
Müller Verlag, Erlangen 2018, dem schlicht und ergreifend absolut perfekten Buch, das jeden Stein samt seiner Geschichte kennt.
Kreta
- und mein Herz schlug rascher
Schon jetzt kann ich sagen: nach der Sahara in Marokko
1991 und Nordnorwegen 2006 ist Kreta das eindrücklichste,
was ich erlebt habe.
Tracks
Azogires
Agia Triada
Frangokastello (die letzten Kilometer fehlen leider)
Rethymno
Logbuch Reiselogbuch-2019-1-3
geschrieben am 20. und 21. März 2019