Montag, 4. Februar, bis Dienstag, 12. Februar
Wie immer begann die Reise mit dem Besuch bei meiner Tante in Aigle in der Schweiz; die Hinfahrt bei gutem Wetter durch viel Schnee - hier am Lac de la Gruyère - war sehr entspannt.
Aigle hat in der Altstadt seinen Charme bewahrt.
Nach zwei Tagen ging es im Tunnel durch den
Großen St. Bernhard nach Aosta, wo ich mir die
- natürlich am Mittag leider verschlossene -
Kathedrale anschaute.
Anselm von Canterbury ist hier geboren,
Bernhard von Aosta war hier Archidiakon,
Gratus von Aosta und
Jocundus von Aosta waren hier Bischöfe,
Jakob „der Syrer” setzte den ersten Bischof der
Stadt ein.
Die Weiterfahrt brachte mich auf der Autobahn um
Mailand in den großen Feierabendverkehr mit
langem Stau - der Preis für den Aufenthalt in Aosta. Dann ging es aber zügig durch die Po-Ebene und am Abend hinter
Bologna auf die Raststätte Sillario - um
21 Uhr hatte es hier noch 9° Wärme - den Winter habe ich hinter mir gelassen.
Am nächsten Morgen war es nicht mehr weit nach Ancona, mein Schiff - Abfahrt 14 Uhr - stand schon bereit. Von ihm aus geht der Blick auf die Kathedrale von Ancona - dort war ich schon 2010.
Das Schiff - Cruise Olympia
der Reederei Minoan Lines, die zum italienschen Grimaldi-Konzern gehört - ist riesig:
225 m lang, 30 m breit und 11 Decks hoch, hat Platz für 3000 Passagiere, 250 Autos und 180 LKWs. Es wurde 2010 gebaut und
die an Bord gebotenen Luxusleistungen sind mit denjenigen eines Kreuzfahrtschiffes vergleichbar
, schreibt die
Reederei; mehrere Restarants, Bars, Spielhalle, Boutique, Raucherzmmer, Swimming Pool, Wellnessbereich, Fitnesscenter -
es fehlt an nichts. Auf die teure Kabine habe ich verzichtet, man kann auf einer gepolsterten Bank schlafen. Das Essen
im Resturant ist wie der Kaffee nicht gerade preiswert, zwar eine Fernfahrerportion, denn das ist ein erheblicher Teil
der Fahrgäste, aber von - sehr - mäßiger Qualität. Die 23 Stunden Fahrt ziehen sich, erst um 6.45 Uhr, kurz vor
Sonnenaufgang, laufen wir den Hafen von Igoumenitsa
an: καλήμέρα, guten Tag, Griechenland.
Griechenland erlebt schlimme Zeiten, zur wirtschaftlichen Katastrophe der letzten Jahre kam die spöttische Diffamierung
- nicht nur - in der deutschen Politik und Presse. Deutschland und die EU haben seit der Schuldenkrise 2008 das Land
nicht gerettet, sondern dem Ruin nahegebracht: 2008 lag Griechenlands Staatsverschuldung bei 265 Mrd. €, 2018 lag die
geschätzte Verschuldung bei 350 Mrd. €. Insgesamt erhielt Griechenland in diesen zehn Jahren im Rahmen der
Rettungsprogramme
Kredite in Höhe von 296 Mrd. € mit Laufzeiten von bis zu 32,5 Jahren, Deutschland war mit
77,7 Mrd. € dabei. Das Geld floss aber nicht in die griechische Volkswirtschaft, gerettet
wurden die ausländischen
- v. a. deutsche und französische - Banken und Investoren, die im Falle eines Staatsbankrotts oder Schuldenschnitts leer
ausgegangen wären.
Für die Kredit- und Bürgschaftsgeber waren die Rettungsprogramme
gleichzeitig ein gutes Geschäft: der deutsche
Bundeshaushalt erzielte allein aus dem ersten Rettungspaket
2010 bis 2013 bei einer Verzinsung von satten 4,8 %
nd durch den Ankauf von griechischen Staatsanleihen 2,9 Mrd. € Gewinn. Die Experten der Troika
aus EU, EZB und IWF
zwang zudem den Griechen Auflagen auf, die einen teilweisen Ausverkauf des Landes darstellen, weil es Staatsvermögen zu
schlechten Bedingungen verkaufen musste: Die Frankfurter
Flughafengesellschaft Fraport AG
übernahm beispielsweise 14 profitable griechische Flughäfen für 1,234 Mrd. €
mit einer Laufzeit von 40 Konzessionsjahren; die unrentablen Flugplätze durften die Griechen behalten.
Das griechische Bruttoinlandsprodukt sank in der Zeit der Rettung
von 356 Mrd. $ im Jahr 2008 auf 193 Mrd. im
Jahr 2015 - also um 46%. Ein Rückgang um fast die Hälfte also: 2017 verfügte ein Grieche im Durchschnitt über 18.637 $,
ein Deutscher über 44.550 $; das Wachstum in Vergleich zum Vorjahr lag in Griechenland bei 4,3%, in Deutschland bei 5,4%.
Radikale Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen wälzen die Lasten auf das Volk ab, die Mehrwertsteuer wurde von 19% auf
23% erhöht, die durchschnittlichen Renten auf 45% des Niveaus von 2008 gekürzt, das Rentenalter auf 67 Jahre hochgesetzt,
die Beschäftigung im öffentlichen Dienst ging um ein Viertel zurück. Der Mindestlohn wurde auf 3,39 € pro Stunde
herabgesetzt, das nach einem Jahr ersatzlos auslaufende Arbeitslosengeld auf 322 € im Monat gesenkt. Das verfügbare
Einkommen ist von 2008 bis 2013 um knapp 40% (inflationsbereinigt) gesunken. Einsparungen im Gesundheitssystem ließen
die Säuglingssterblichkeit von 2,7 Kindern auf 1000 Lebendgeburten in 2008 auf 4,2 Kinder in 2016 steigen. 2017 betrug
die Arbeitslosenquote 21,5% (im Euroraum 10,0%), die Jugendarbeitslosigkeit von Menschen bis 24 Jahren stieg von 25%
im Mai 2008 auf 48,1% im Jahre 2016.
Mehr als eine halbe Million Griechen wanderten seit Beginn der Krise aus; damit verliert der Staat nicht nur die
intellektuelle Elite, sondern auch seine Investitionen in die Ausbildung. Von der Abwanderung von Fachkräften und
Akademikern profitieren vor allem die großen EU-Länder. Nach Schätzungen wird die Bevölkerung durch Abwanderung,
Geburtenrückgang und Sterblichkeit von 10,7 Millionen Einwohnern bis 2080 auf 7,2 Millionen sinken.
Kreta geht es dabei vergleichsweise noch
gut, es hat hiner dem Großraum von Athen und den
südlichen ägäischen Inseln - die vom starken Tourismus profitieren - das höchste BIP pro Kopf.
Beim Einlaufen in den Hafen von Patras grüßte
noch einmal der Winter von den Bergen des Peloponnes. Nach
der Umstellung der Uhr - Griechenlands Zeit liegt eine Stunde vor der mitteleuropäischen - war es wieder 14 Uhr. Dann
ging es über die 2008 fertiggestellte, breit ausgebaute Autobahn - die deutsche Baufirma Hochtief (mehrheitlich in
spanischem Eigentum) hat sich hier mit vielen Schildern verewigt, also ist auch dieses EU-Geld für die Griechen
wieder in good old Germany gelandet - zügig in knapp zwei Stunden Richtung
Athen. Auch hier erreichte ich wieder den
Feierabendverkehr. Die Anlegestelle im Hafen
von Piräus zu finden war gar nicht so einfach, da schon der Ortsname verschiedene griechische Schreibweisen hat; fragen
half, aber die Englischkenntnisse der Arbeiter am Fischereihafen sind mäßig. Schließlich angekommen erklärte mir
Minoan-Lines, es gebe keinen Platz mehr in der Fähre nach
Chania auf
Kreta; einen ganzen Tag Warten? Glücklicherweise
gibt es auch noch ANEK / Blue Star Ferries.
So fuhr ich mit der Blue Galaxy
der griechischen Blue Star Ferries, die etwas kleiner ist als die Cruise
Olympia
und Platz für 1740 Passagiere hat. Abfahrt war um 21 Uhr, also Warten angesagt, und dann folgte wieder eine
Nacht auf dem Schiff: nicht ganz so angenehm wie die vorherige, denn das Schiff ist gut gefüllt, viele wollten offenbar zum
Wochenende vom Festland in die Heimat nach Kreta.
Für die Zeit nach der Ankunft in Souda, dem Hafen von Chania, um
6 Uhr - es hatte 12° Ceslius! - habe ich mir im Navi einen Schlafplatz ausgesucht, der Ruhe verspricht: einen englischen
Soldatenfriedhof nahe des Hafens. Nachdem
das heftige Hahnengeschrei etwas verklungen war, konnte ich den versäumten Schlaf nachholen und dann die Gedenkstätte
ansehen: hier liegen 1527 britische und Soldaten aus anderen Commonwealth-Ländern, die bei der - erfolglosen -
Verteidigung von Kreta gegen die angreifenden Deutschen 1941 gefallen sind. Im Hintergrund: mein
Schiff, das am
Abend zurückfahren wird.
Souda ist heute einer der größten Marine- und Luftwaffenstützpunkte der NATO und der USA im Mittelmeer, auch deutsche Soldaten sind (wieder!) dort.
Frucht der langen Fährfahrten ist, dass ich das viel gerühmte Buch 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
von
Yuval Noah Harari gelesen habe.
Eine interessante Passage darin berichtet von einem Edikt des indischen Kaisers Ashoka, der sich als Devānampriya
Priyadārsin
, der Göttergeliebte und König, der alles mit Wohlwollen betrachtet
bezeichnete, erlassen um das
Jahr 250 v. Chr.: Devānampriya Priyadārsin ehrt alle religiösen Vereinigungen. … Bei passender Gelegenheit aber
soll man auch den anderen religiösen Vereinigungen seine Achtung bezeugen. Verhält man sich anders, so schädigt man die
eigene religiöse Vereinigung und verletzt die anderen religiösen Vereinigungen. … So ist denn nur das Zusammengehen
gut, auf dass ein jeder der Sittenlehre des anderen Gehör und Aufmerksamkeit schenke.
Sonst aber: das Buch des Weltstars unter den Historikern
, so der Verlag, ist zwar eine Anhäufung vieler
interessanter und relevanter Fakten - der Autor hat offenbar einen gut gepflegten Zettelkasten - aber trotz des sich
kritisch gebenden Anspruchs (damit die Antworten nicht von den blinden Kräften des Marktes gegeben werden
) ist es
in Wahrheit ein Propagieren des anything goes
, wo es keine Werte, keine Wahrheiten, keine menschlichen Gefühle und
natürlich auch keine religiösen oder sonstigen Bindungen gibt: auf der obersten Welle des Zeitgeistes reitend wird im
Ergebnis der ungehemmte Neoliberalismus verkündet, allenfalls mit einigen Einsprengseln buddhistischer Gleich-Gültigkeit:
Sie sollten den tatsächlichen Fluss von Körper und Geist wahrnehmen. Sie werden sehen, wie Gedanken, Emotionen und
Sehnsüchte auftauchen und wieder verschwinden, ohne wirklichen Grund und ohne Befehl von Ihrer Seite … Sie erleben
all diese Dinge, aber sie kontrollieren sie nicht, Sie besitzen sie nicht und Sie sind es nicht. … Das Universum
hat keinen Sinn und auch menschliche Gefühle tragen keine Bedeutung in sich. Sie sind nicht Teil einer großen kosmischen
Geschichte, sondern nur flüchtige Schwingungen, die aus keinem besonderne Grund auftauchen und wieder verschwinden. Das
ist die Wahrheit. Finden Sie sich damit ab.
(S. 396)
Es ist Samstag, also heißt es einkaufen fürs Wochenende, Lidl in
Chania hatte alles nötige. Die Fahrt durch die
Stadt war chaotisch, das vielgefürchtete Palermo
wird hier klar übertroffen. Und dann ging es durch großartige Berge kurvenreich an die Südküste an mein Ziel, den
Campingplatz Grammeno
nahe Paleochora.
Der freundliche Besitzer - ein Engländer wie auf dem
Camping Luminoso
bei Marina di Ragusa
vor zwei Jahren, das versprach Qualität und erleichterte die Verstädigung - stand am Eingang und zeigte mir einen Platz
direkt am Meer: wunderbar!
Den Sonntag nutzte ich zum Lesen und Bearbeiten der ersten örtlichen Heiligen - der
99 heiligen Väter von Kreta - und
zum Putzen, denn das große Glas mit echt selbstgemachtem türkischem Honig war umgefallen und ausgelaufen, eine riesige
Sauerei. Außer mir sind nur ein junges Paar mit kleinem Kind aus
Nürnberg, ein österreichisches und ein
englisches Paar hier; Kreta ist als Ort zum
Überwintern noch nicht sehr bekannt, obwohl es jetzt, während ich schreibe, um 21 Uhr 15° hat.
Am Montag besuchte ich das Städtchen
Paleochora, das 1675 Einwohner hat und auf
einer Halbinsel liegt, an deren einen Seite der Hafen zu finden ist …
… und an der anderen der lange Sandstrand. Es ist hier die wärmste Gegend Griechenlands und
Paleochora lebt weitgehend vom Tourismus,
hat aber keine großen Hotels und sich deshalb seine Ursprünglichkeit bewahrt.
Hier werde ich die nächsten Wochen bleiben und am Ökumenischen Heiligenlexikon arbeiten.
Tracks (rekonstruiert):
Aigle
Ancona
Piräus
Paleochora
geschrieben am 11. und 12. Februar 2019