Welt bereisen Das Reiseblog des Ökumenischen Heiligenlexikons

Das unbekanntere Kappadokien

   J. Schäfer          

Dienstag, 18. Juni

Ich werde morgen nach sehr schönen Tagen und gut erholt Yaşar, den Besitzer, und seinen schönen Kaya-Camping verlassen - noch nicht ahnend, dass mich die Kiste tatsächlich nicht liebt ...
Heute sehe ich mir noch die Feenkamine und die Kirche in Paşabağ bei Göreme an, wo angeblich Simeon Stylites der Ältere lebte.


Auch hier hat es Touristen und wird ihnen etwas geboten , aber es sind schon nicht mehr die Massen wie an den bekannteren Orten.

An der Spitze dieses dreiköfigen Feenkamins habe Simeon gelebt, ihm zu Ehren wurde dann unten die Kirche eingerichtet.

Sie ist ein kleiner, schmuckloser Raum.

Andere Feenkamine sind hier höchst bizarr ...

... und Federvieh zwischen den Feenkaminen gab's wohl auch schon zu Simeons Zeiten.

Mittwoch, 19. Juni

Ich fahre nach Aksaray. Unterwegs fällt direkt an der alten Straße, unweit der neuen vierspurigen, die rekonstruierte Alayhan, eine alte Karawanserei, auf.

Gegenüber der Karawanserei, jenseits der alten Straße, sind die Reste eines großen Bauwerks - einer ehemaligen Basilika?

Aksaray, das frühere Colonea, ist ein nettes Städtchen - hier das Rathaus. Johannes Hesychastes war hier Bischof; der nach Johannes benannte Hesychasmus ist bis heute v.a. in der Orthodoxen Kirche in Russland eine verbreitete Gebetspraxis.

Auf dem Rathausplatz sitzt auch die Gilde der Schuhputzer im Schatten. Wie schon öfter fällt mir auch hier auf, dass das mit der Schulpflicht in der Türkei wohl nicht allzu ernst genommen wird.

Südlich von Aksaray liegt einsam im Bergland die recht gut erhaltene Çanli-Kilise, die farbige Kirche.

In den Felsen ringsum wieder Höhlen, Felsgräber und diese in die Felsen geschlagene Kirche.

In der neueren Kirche sind noch Reste der Fresken erhalten.

Durch das Fenster blickt man auf die karge Hochebene und den 2931 m hohen Melemdiz-Dağı.

Ich komme nach Gülaġaç, einem verlorenen Marktflecken auf der Hochebene; neben dem Ort liegt der Hügel, der einst Nazianz war und wo Gregor von Nazianz der Ältere als Bischof wirkte.

Netter ist der Ort Demirci im Tal.

Auch über diesem Ort findet sich ein unausgegrabener Hügel.

Kurz vor Güzelyurt steht die Yüksek Kilise, die hochgestellte Kirche. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert, als der Ort noch Gelveri hieß und die Bevölkerung noch griechisch war. Beim griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch 1923 wurden die Griechen hier aus- und türkische Familien aus dem griechischen Kastoria angesiedelt.

In der von unten großen, wehrhaften Anlage ist die eigentliche Kirche recht klein, die Fresken sind teilweise erhalten.

Die türkische Besucherfamilie untersucht das Gebäude in allen Einzelheiten ...
Es ist auffällig: es gibt hierzulande keine Distanz, man könnte sagen keine Individualität. Ich und meine Kiste werden überall unverhohlen beglotzt. Ich bewege mich oft dort, wo keine Touristen hinkommen, also bin ich ein Unikum. Und meine Kiste ist das sowieso: ein Transit ist ein türkisches Auto und hat eine Pritsche, die man hoch und breit beladen kann - so wie damals bei Dara -, oder in der Langversion 12 Sitzplätze zum Transport von also mindestens 20 Personen hat; ein Ford mit Bett, Wasserhahn, Schränken und nur 2 (in Worten: zwei!) Sitzen - das muss man sich genau anschauen, das kann nicht sein!

In Güzelyurt liegt das Klostertal, das auf einer Länge von knapp 5 km einst mehr als 50 Kirchen und Klöster beheimatete; am Eingang zum Tal gibt es zudem eine kleine unterirdische Stadt.

Recht neu ist am Beginn des Tales diese einstige Kirche, die seit 1924 Moschee ist mit dem Namen Kilise Camii, Kirchen-Moschee. Da kommt mir doch die Idee: wir reden mit Türken wieder über Toleranz, wenn es in Deutschland die erste Moschee-Kirche gibt .

Im Inneren der Moschee ist noch gut der alte Kirchenchor (links, gen Osten) zu erkennen, jetzt ergänzt durch den Mihrāb, die Nische, die die Gebetsrichtung nach Mekka anzeigt (rechts, nach Süden).

Auch das Weihwasserbecken ist erhalten ...

... ebenso wie Grabsteine mit Kreuzen aus dem früher die Kirche umgebenden Kirchhof.

Auch die Sivişli-Kilise (rechts) war offenbar bis in die 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts benutzt. Sie ist fast völlig in den Fels hinein geschlagen, nur der Vorraum wurde angemauert.

Das Fresko in der Kuppel - wie gesagt: alles aus dem Felsen geschlagen - ist gut erhalten.

Im Tal reihen sich dann alte Höhlenwohnungen und Kirchen aneinander.

Natürlich wird das schattige und fruchtbare Tal noch immer landwirtschaftlich genutzt; es geht gen Abend und die Bäuerinnen treten den Heimweg an ...

Am Bach kann dieser offenbar vom Blitz getroffene, halbierte und ausgehöhlte Baum dennoch überleben ...

Hoch über Sivrihisar, dem Ort am Pass oberhalb von Güzelyurt, erheben sich diese Reste einer alten Kirche. In Sivrihisar wird üblicherweise das alte Landgut Arianz lokalisiert, auf dem Caesarius von Nazianz, seine Schwester Gorgonia und deren Bruder Gregor von Nazianz der Jüngere geboren wurden. Für ein Landgut scheint mir der Ort zu hoch zu liegen (Winter!), ich tippe deshalb auf das Klostertal in Güzelyurt, das sich Richtung Sivrihisar hinzieht.

Sivrihisar selbst ist ein kleines Bauerndorf direkt unterhalb des gleichnamigen, 1770 m hohen Passes.
Seit einigen Stunden und jetzt endgültig an der Bergstraße merke ich, dass meine Kiste große Schwierigkeiten hat, Berge hochzuklettern; man wird sehen ...

Im nicht weit entfernten Ihlara werde ich übernachten und morgen das bekannte Peristrema-Tal, das (griechisch) gewundene Tal besuchen. Im Ort werden gerade die Kühe nach Hause getrieben, da haben die Autos zu warten ...

Donnerstag, 20. Juni

Der Abstieg ins Tal führt über 400 - teilweise hohe - Stufen. Da fällt mir ein, was mein Großvater immer vom Frieder von Stetten erzählte: der Bub weinte, wenn er mit seinem Vater bergab ging. Befragt, was es am bequemen Abstieg zu betrauern gebe, verwies er auf den danach zu erwartenden Aufstieg ... Aber jetzt freue ich mich zunächst auf das schattige, vom Bach gekühlte Tal, das auch ein Zentrum des mönchischen Lebens war und auf gut 10 Kilometern über 50 Kirchen und Klöster hatte.
In der Ağaçaltı Kilise, der Kirche unter dem Baum, ist in der zentralen Kuppel Christi Himmelfahrt zu sehen in einer Darstellung, die aus der Zeit vor dem Bilderstreit des 8. Jahrhunderts stammt.

Die Infotafel betont, dass die Christen und Mönche hier auch nach der Machtübernahme der Seldschuken ihren Glauben frei praktizieren konnten, was durch ein Fresko des Sultans Mesud II. von Anatolien in einer der Kirchen eindrücklich belegt wird.

Statt dieser Brücke habe ich lieber den Umweg benutzt ... In dem schmalen, langen Tal ist man völlig alleine, so früh wie ich ist noch kein anderer Tourist da.

Aber man kann es hier aushalten ...

Die einzelnen Kirchen, Grabkammern und Wohnräume unterscheiden sich im Prinzip wenig. In der Sümbüllü Kilise, der Hyazinthenkirche, ist Kaiser Konstantin abgebildet.

Gut erhalten ist auch die Fassade im ersten Stockwerk.

Die Yılanlı Kilise, die Schlangenkirche hat ihren Namen von der Darstellung des Jüngsten Gerichts, wo Schlangen die Sünderinnen (!!) bedrohen. Hier ist auch Gregor von Nazianz dargestellt.

Der Aufstieg in der Sonne ist schweißtreibend, der Blick entschädigt.
Bei der Weiterfahrt kurz darauf höre ich ein metallenes Scheppern irgendwo vorne am Auto. Ich halte an, suche: da liegt kein Teil, alle Radmuttern sitzen fest (!!), auch sonst finde ich nichts, was nicht in Ordnung wäre.

Einige Kilometer auf einer schmalen Landstraße entfernt von Ihlara liegt der kleine Ort Çiftlik - er steht in keinem Reiseführer, aber die Merk-Würdigkeiten und Schönheiten Kappadokiens sind hier überall zu finden.
Nur die Kiste fährt noch schlechter als gestern ...

Ich komme nach Hasaköy, dem früheren Sasima, wo Gregor von Nazianz Bischof war, bevor er als Erzbischof nach Konstantinopel berufen wurde. Das kleine Bauerndorf in der Ebene wurde durch Basilius zum Bischofssitz gemacht, weil die Anhänger des Arianismus in Tyana beim heutigen Niğde das Bistum übernommen hatten.
Auch in Hasaköy gibt es noch die Kirche aus der griechischen Zeit, in recht gutem baulichem Zustand ...

... heute offenbar so etwas wie das Jugendzentrum des Dorfes, wie die vielen Graffiti zeigen. Grabsteine mit griechischer Inschrift stehen auch hier im Hof.

In Niġde ist Markttag ...

... da gibt es alles, was der Mensch so braucht.

Ich sagt: alles!

Niġde wird überragt von der Festung, die die Seldschuken wohl im 19. Jahrhundert erbauten.

Bis ins 18. Jahrhundert, so lerne ich, war es bei den Ottomanen üblich, Glockentürme zu bauen. Zum 25-jährigen Thronjubiläum von Sultan Abdulhamit 1901 / 02 wurde diese Tradition wiederbelebt und in anatolischen Städten wurden an ihrem höchsten Punkt Glockentürme errichtet. Der in der Festung in Niġde wurde 2007 rekonstruiert und ist so heute eines der wenigen erhaltenen Exemplare seiner Gattung.

Meine Kiste läuft immer schlechter, geht oft während der Fahrt aus, deshalb will ich in Niġde zu Ford. Auf der Suche mache ich Halt an einer Tankstelle am Stadtrand und treffe diese mir inzwischen wohlbekannten wilden Gesellen beim Mittagsschlaf. Das sind Lohnarbeiter, die mit ihrem Mädrescher und einem Anhänger, der das Mähwerk sowie Hab und Gut transportiert und als Zelt zum Schlafen dient, durchs Land reisen. Ich habe sie im Süden gesehen, dann unterwegs Richtung Norden, als auch ich in diese Richtung fuhr, nun sind sie hier und warten auf Aufträge.
In der Ford-Werkstatt spricht keiner Englisch. Was lernen die kaufmännischen Krawattenmänner und die weißbekittelten Meister eigentlich in der Schule? Die Kommunikation geht über einen Mann am Telefon, der übersetzt. Die Diagnose: Einspritzventile kaputt, nicht reparabel, alle vier müssen ersetzt werden zum Stückpreis von 1.350 Lira, 550 €. Die Teile müssen aus Ístanbul besorgt werden (ich weiß ja schon: in der Türkei haben sie andere - in der Türkei sind diese Autos von Ford, heißen Transit, sehen auch so aus, sind aber offenbar komplett andere Fahrzeuge!), das dauert 4 bis 5 Tage, einstweilen soll ich in einem Hotel ...
Eine Woche in Niġde? Das gibt die Stadt nun wirklich nicht her - ich werde versuchen, in die große Stadt Konya zu kommen.

Vorher fahre ich noch ins nahe Gümüşler, wo es ein ehemaliges Kloster gibt - tatsächlich eine ganze Stadt in einem riesigen Felsen, eine der am besten erhaltenen Anlagen in Kappadokien. Der Komplex wurde 1963 restauriert und als Museum hergerichtet.

Komplett aus dem Fels geschlagen ist der Innenhof vor der großen Kirche und natürlich die Kirche selbst.

Der Innenhof vor der Kirche ist übersät mit Löchern von ehemaligen Gräbern und tiefen Höhlen für Vorräte. Der da fotografiert ist ein Beamter der Touristenorganisation - an der Aufschrift seiner Uniform zu erkennen.

In der Kirche sind die Fresken aus dem 11. Jahrhundert außergewöhnlich gut erhalten; auch sie wurden restauriert.

Der Erzengel Gabriel bei der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria.

Im Chor: Maria (rechts) mit Basilius (daneben) und weiteren Heiligen.

Auf der rechten Seite des Chores: Nikolaus (links) und weitere Heilige.

Die Geburt Christi.

Der Innenhof vom ersten Stockwerk aus gesehen.

Das dort erhaltene Fresko ist nur noch in der Rekonstruktionszeichnung richtig zu erkennen: das Böse muss bekämpft werden!

Freitag, 21. Juni

Das Böse muss bekämpft werden, das gilt jetzt ganz besonders für meine Kiste. In Niġde will ich nicht so lange warten und fahre deshalb nach Konya, in die Millionenstadt; dort müsste man bei Ford Englisch können und ich muss mich nicht kommentarlos auf den Tausch der teuren Einspritzdüsen einlassen. Meine Bordelektrik ist es sicher nicht, das habe ich nochmal geprüft; außerdem gibt es ja ein mechanisches Problem, wie das Scheppern vorgestern und ein anhaltendes Pfeiffgeräusch zeigen. Ich schaffe es mit Vorsicht, Umsicht und Mühe tatsächlich nach Konya; das ist eine riesige, heiße, hektische Stadt. Ich finde einen Internet-Zugang und so im Stadtplan die Ford-Werkstatt, aber ich finde sie nicht in der Realität. Außerdem gibt es in dieser Stadt definitiv keinen Campingplatz und das Wochenende steht vor der Tür.
Ich erinnere mich an den Besitzer des Kaufladens in Göreme, der lobend die Tatsache kommentierte, dass ich einen Transit fahre, also ein - wie er dachte - türkisches Auto. Das geschieht mir hier oft - wenn die wüssten ... Der Kaufmann fügte hinzu: Maschine gut! - von wegen! Er selbst fährt übrigens einen Renault Baujahr 1986.
Das Böse muss bekämpft werden, aber ich will auch leben - also ?? Ich fahre noch 100 km weiter an einen See mit Campingplatz, nach Beyşehir.

Samstag, 22. Juni

Die Fahrt ging über die Berge, das gefiel der Kiste gar nicht. Aber der See ist schön, der Campingplatz geht so, das Essen ist genießbar, der See schön, die schneebedeckten Taurus-Berge grüßen und eine Ford-Werkstatt gibt es in dieser Stadt auch. Es gibt auch Internet-Verbindung und ich lerne: das Problem haben viele Fords - nicht nur Transits - und andere Marken auch. Die Lösungen gehen von Wunderheilung über neuen Unterdruckschlauch für 12 €, Austausch von Einspritzpumpe, Einspritzventilen und weiteren Teilen für 3000 € bis hin zu total neuem Motor. Man wird sehen; ich genieße erst 'mal das Wochenende.

Sonntag, 23. Juni

Das Wochenende verbringen viele Türken hier. Man kommt am Vormittag, bezahlt ein paar Lira Eintritt und hat dann Schatten, evtl. auch den See. Inzwischen habe ich gelernt: was mich in Dülük noch verwundert hat,, gibt es fast überall: Wälder, die Eintritt kosten - dort verbringt man Freizeit und Wiesen, die irgendwie Einrichtungen zum Schattenspenden haben - dort erholt man sich gegen Gebühr. So ist auch dieser Campingplatz nur von mir zum Übernachten genutzt, aber tagsüber von vielen Erholungssuchenden. Man sitzt im Schatten, grillt, spielt, isst, manche (Männer) baden. Und dazu kann man derzeit ausgiebig Transit glotzen: man setzt sich auf die nahe Bank und schaut - und schaut - und schaut. Dafür bekomme ich aber auch viele Einladungen zum Tee; ich weiß ja: we are always drinking Çaj ....
Beim Abendessen lerne ich vom Nebentisch, was man auch trinken kann: Johannisbeersaft, Rakı (das ist der türkische Schnaps, mit Wasser gemischt getrunken) und Kaffee - alles neben- und durcheinander: ein Schluck hiervon, einer davon, der dritte dortvon. Oder: Bier (gibt's hier!) und Tee nach demselben Muster.
Gelernt habe ich auch ein neues Duschen: das Duschhäuschen ist nagelneu, schöne Fliesen, neue Duscharmatur, alles bestens; die Armatur hat Kalt- und Warmwasserhahn, Auslauf, Duschschlauch und -kopf, den Umschalter dazu - nur der funktioniert nicht. Dafür steht in der Dusche ein kleiner Eimer, den man am Auslauf füllen kann ... Ich verzichte - der Eimer ist sauber, aber kenne ich seine Geschichte? - und "dusche" unter dem Auslauf; das geht, auf Knieen. Ein bisschen Demut schadet nicht!
Aber das Wetter ist bestens, der See warm, gestern schönstes Abendrot, es ist Mittsommer - trotzdem vor 21 Uhr stockdunkel - und Vollmond, was will man mehr!

Und Morgen werde ich sehen, wie es mit der Kiste weitergeht ...

Die Tracks:
Paşabağ
Ihlara
Bor
Beyşehir

geschrieben am 22. / 23 Juni 2013


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